Das Netz der Schattenspiele
gelangweilt wirkenden Mittvierziger, dessen graumelierter Backenbart wie ein von Motten zerfressener Teppich wirkte. Aus dem offenen Fenster des Taxis dröhnte Reggaemusik. Irgendetwas stimmte nicht an dieser Szene, aber Stella kam nicht darauf, was.
Nachdem der Wagen sich in den Verkehr eingefädelt hatte, setzte Lieutenant Friedman seine Schutzbefohlenen davon in Kenntnis, dass die Fahrt sie direkt zum Sitz der Vereinten Nationen führen würde. In weniger als einer Stunde beginne ein Meeting der Cyberworm-Truppe und Mark Kalder sei als Eröffnungsredner vorgesehen.
»Sie haben es ja wirklich eilig!«, versetzte Mark erstaunt. »Und worüber soll ich Ihrer Meinung nach referieren?«
»Über die I-Bombe, Professor. Die Mitglieder des internationalen Cyberworm-Teams sind erstklassige Computerspezialisten, aber nicht jeder ist mit Ihrer Arbeit vertraut. Wie ich soeben erfahren habe, werden Sie schon sehnsüchtig erwartet. Es bereitet Ihnen doch keine Umstände… ich meine, so ohne Vorbereitung?«
»Nein, nein, überhaupt nicht. Das Thema ist mir durchaus geläufig«, erwiderte Mark. Und dennoch passte es ihm nicht, dass derart freizügig über seinen Kopf hinweg entschieden wurde.
Vom John-F.-Kennedy-Flughafen aus führte der Weg dann durch den New Yorker Stadtteil Queens. Das letzte Hindernis vor Manhattan, der East River, wurde in einem Tunnel genommen. Über der Stadt, die von ihren Bewohnern liebevoll The Big Apple genannt wurde, lag eine drückende Schwüle. Friedman und Finmore hatten auf dem Flug ausgiebig geschlafen und machten einen leidlich erfrischten Eindruck. Der Deutschamerikaner unternahm vom Beifahrersitz des Taxis aus sogar ein-, zweimal den Versuch, Stella die Sehenswürdigkeiten der Stadt anzupreisen, musste aber bald einsehen, dass sie besser Bescheid wusste als er. Schließlich widmete er sich ganz dem Studium des Straßenverkehrs.
In Manhattan waren neun von zehn Wagen Taxis. Diesen Eindruck hatte Stella jedenfalls immer, wenn sie die hupenden, drängelnden und schiebenden Karossen beobachtete. Dennoch schien es ihr, als gingen die Fahrer hier rücksichtsvoller mit ihren Kontrahenten um, anders als deren Kollegen im Berliner Stadtverkehr.
Als der Wagen nur wenige Minuten nach dem Verlassen des Tunnels vor dem UN-Gebäude hielt, sagte Friedman: »Wir sind am Ziel.«
Stella hatte längst die panzerschrankschwere Tür des Taxis geöffnet und stand bereits halb auf dem Pflaster. Als der dunkelhäutige Fahrer des Wagens Anstalten machte, das ausgeladene Gepäck in Richtung Bürogebäude davonzutragen, fragte sie den NSA-Mann: »Wenn mein Vater für Sie eine so wichtige Person ist, warum fahren wir dann in einem ganz normalen Taxi?«
»Lassen Sie Billy nur nicht hören, sein Yellow Cab sei ein ›ganz normales Taxi‹«, erwiderte Finmore anstelle seines Kollegen.
»Billy?«
»Der Fahrer dieses unauffälligen Gefährts. Ein waschechter CIA-Mann. Und sein Auto ist ein schusssicheres Hochleistungsmobil, das es mit jedem Serien-Porsche aufnimmt. Wir dürfen unseren Gegner nicht unterschätzen und hielten es daher für angebracht, Ihren Vater und Sie auf möglichst unauffällige Weise hierher zu bringen.«
Stella sah verwundert dem mit dem Gepäck vorausschlurfenden Mann nach. Warum trug er keinen Polyesteranzug?
Ihr Erstaunen hatte auch in dem hohen schmalen Bürogebäude noch kein Ende. Der Fahrstuhl, den sie nach Durchquerung des Foyers bestiegen, katapultierte sie nämlich nicht in eine luftige Etage des neununddreißig Stockwerke hohen Secretariat Building, sondern sackte einfach in die Tiefe.
»Wollen Sie uns Ihren Weinkeller zeigen, Mrs. Shirakaba?«, erkundigte sich Salomon, der wohl den gleichen Gedanken gehabt hatte wie Stella. Er richtete seine Frage in lockerem Plauderton an eine UN-Mitarbeiterin, sowohl dem Gesicht als auch dem Namen nach aus Japan stammend, welche die Ankömmlinge in der Eingangshalle in Empfang genommen hatte.
Die auffallend gut aussehende Dame lächelte den Gast mit asiatischer Höflichkeit an und erwiderte wortgewandt: »Die Spezialeinheit ist keine ständige Einrichtung. Und die Büros mit der besten Aussicht sind alle schon an die UN-Administration vergeben. Außerdem wissen nur der Generalsekretär und die Mitglieder des Sicherheitsrats von dem Cyberworm-Team. Man möchte wohl, dass sich daran vorerst nichts ändert.«
»Aber Sie wissen doch auch davon«, entgegnete Salomon scheinbar verwundert.
Die Japanerin lächelte immer noch. »Ich bin die
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