Das Netz der Schattenspiele
stellvertretende Leiterin der Cyberworm-Einheit, Professor Kalder.«
Dem verschlug es für einen Moment die Sprache, was gewiss nicht oft vorkam. Stella, die während Vivianes Abwesenheit mit eifersüchtiger Wachsamkeit jeden Schritt und jedes Wort ihres Vaters überwachte, hatte die schlagfertige Antwort von Mrs. Shirakaba gefallen, was man von der angeregten Konversation Salomons mit dieser fernöstlichen Schönheit nicht gerade behaupten konnte.
Der Raum war ungefähr zwanzig Meter lang und acht Meter breit. Er befand sich im vierten Untergeschoss des UN-Gebäudes.
Kimiko Shirakaba hatte es mithilfe eines kleinen Schlüssels geschafft, den Fahrstuhl noch zwei Stockwerke tiefer in den Fels von Manhattan zu treiben, als es die Anzeigentafel eigentlich erlaubte. An dem langen Holztisch saßen – abgesehen von ihr, Salomon, Friedman und Finmore – gut zwei Dutzend Personen, gewissermaßen ein repräsentativer Querschnitt der Erdbevölkerung.
Während Salomon seinen Notebook-Computer mit dem im Raum befindlichen Projektor verkabelte, hatte Stella ausreichend Gelegenheit, jeden Einzelnen der Gruppe zu betrachten.
Die Mitglieder des Cyberworm-Teams stammten von allen Kontinenten. Sich ihre bisweilen abenteuerlichen Namen zu merken hatte Stella schon bei der kurzen Vorstellung aufgegeben. Die überwiegende Mehrheit der Spezialisten gehörte dem männlichen Geschlecht an, es waren aber auch sechs Frauen anwesend. Das Durchschnittsalter im Team lag bei Anfang dreißig. Einige mussten allerdings schon um die fünfzig sein.
Keiner der Anwesenden erfüllte vom Äußeren her Stellas Vorstellungen, wie ein Mitglied einer »UN-Spezialeinheit« aussehen müsse. Mit dem Wort verband sie Tarnuniformen, hochschaftige Stiefel, Stahlhelme oder zumindest doch Barette und ein respektables Waffenarsenal. Nichts dergleichen gab es hier zu entdecken. Nicht einmal ein Schweizermesser. Die Angehörigen des Teams wirkten viel eher wie Vaters Studenten, waren dann doch aber vielleicht etwas zu alt. Jeans, T-Shirts mit geschmacklich nicht immer ganz einwandfreien Parolen und ein salopper Umgangston – dieser Haufen hatte ganz und gar nichts Militärisches an sich!
Obgleich die Teammitglieder also durchaus Unkonventionellem gegenüber aufgeschlossen schienen, sorgte Stellas Erscheinen doch für den einen oder anderen erstaunten Blick. Einige tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Stella hörte jemanden sagen, die Deutschen hätten wohl in der I-Technik ganz unbemerkt wieder Anschluss gefunden, wenn ihre besten Hacker genauso jung wären wie die Mädchen eines olympischen Turnwettbewerbs.
Salomon hatte bald alle Kabel seines Notebooks angeschlossen und alle Stecker gesteckt. Der elektronisch unterstützte »Overheadvortrag« konnte beginnen. Ein pechschwarzer Mann, der ihm bisher schweigend zugesehen hatte, erhob sich nun von seinem Stuhl und bat durch vernehmliches Räuspern um die Aufmerksamkeit des Teams. Er musste dann noch mehrmals Laut geben, bis die an Disziplin wenig gewöhnten Spezialisten zur Ruhe gekommen waren.
»Meine Lieben«, begann er seinen Vortrag wie ein Urgroßvater, der seine Sippe am Tisch begrüßt. Er zeigte ein strahlend weißes Gebiss und stieg damit auf Stellas persönlicher Sympathieskala gleich um einige Ränge nach oben. Seine Ausführungen verschafften ihm dann weitere Pluspunkte.
Für die Gäste aus Deutschland wolle er sich noch einmal vorstellen, sein Name laute Agaf Nbugu. Er stamme aus Nigeria, sei gebürtiger Häuptlingssohn, habe sein Studium in Oxford absolviert und stehe nun schon seit siebzehn Jahren in den Diensten der UN. Zurzeit sei ihm die Leitung der Cyberworm-Einheit anvertraut, deren Aufgabe darin bestehe, die mysteriösen Computerzwischenfälle der letzten Zeit aufzuklären und dem oder den Schuldigen das Handwerk zu legen. Professor Kalder und seine Tochter bräuchten nicht zu befürchten, er, Agaf Nbugu, würde bei der Wahrnehmung seiner Führungsaufgaben Zuflucht zu Fetischen oder sonstigem Medizinmannwissen nehmen. Allgemeines Gelächter. Zwar sei er kein ausgesprochener Computerspezialist, aber dafür habe er ja seine handverlesene Jungmannschaft – die Damen wolle er mit dieser Wortwahl gewiss nicht ausschließen.
Agaf Nbugu schien sich durchaus der Unterstützung seines Teams bewusst zu sein, ohne darauf besonders abzuheben. Auf Stella wirkte der Afrikaner mehr wie ein guter Onkel, der nie ein strenges Wort sagt und trotzdem von allen respektiert wird. Auch angesichts
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