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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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klangen die Worte ihres Vaters völlig einleuchtend. Weniger klar war ihr ein ganz anderer Punkt. »Also, wenn es diese strengen Wachen an den Stadtmauern gibt, warum gelingt es dann doch immer wieder irgendwelchen Hackern, in die Städte einzudringen?«
    »Ganz einfach. Man muss nur einmal in die Geschichtsbücher sehen: Selbst während der schlimmsten Belagerungen gab es stets Einzelne, die eine Stadt verlassen oder in sie hineingelangen konnten. Manche unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, andere durch geheime Tunnel…«
    »Tunnel?«, unterbrach Stella ihren Vater verwundert. Sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. »Gibt’s die etwa auch im Cyberspace?«
    »In gewisser Weise schon. Das Wort ›tunneln‹ wird tatsächlich für den Fall gebraucht, dass jemand eine Firewall unbemerkt durchdringt. Die Sache ist ziemlich kompliziert, aber gerade in der Komplexität steckt die eigentliche Antwort auf deine Frage, Sternchen. Wie eine große Stadt ist auch ein Computernetzwerk ein unheimlich vielschichtiges Gebilde. Die verschiedenen Steuerungsmechanismen aus Hard- und Software, die solch ein System ausmachen, sind oft in jahrzehntelanger Arbeit herangereift. Während des ständigen Prozesses der Weiterentwicklung kommt es aber immer wieder zu Konstruktionsfehlern.«
    »Du meinst unvergitterte Abwassertunnel, unverschlossene Hintertüren – so etwas in der Art?«
    Salomon musste lächeln. »Stimmt ganz genau. Allmählich begreifst du, wie unser virtuelles Reich funktioniert. Viele Faktoren tragen zur Komplexität der Struktur bei. Zudem kocht im Kampf um die Marktanteile ein jeder sein eigenes Süppchen und setzt einmal eingeführte Standards nicht unbedingt konsequent um. In jedem Fall gilt: Je verschlungener das Netz, je vielfältiger und komplizierter seine einzelnen Bestandteile, desto unmöglicher ist es, umfassende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Wo ein durchtriebener Wille ist, da gibt es auch immer einen geheimen Weg in die Schatzkammern… oder eben eine ›Hintertür‹, wie du es eben nanntest.«
    »Langsam verstehe ich, weshalb Sie bei Ihren Studenten so beliebt sind«, erhob sich unvermittelt Walter Friedmans Stimme über den schmalen Gang hinweg. »Mit welchen einfachen Worten Sie selbst komplizierte Zusammenhänge treffend beschreiben, ist eindrucksvoll.«
    Mark fühlte sich belauscht. »Ich dachte, Sie schlafen.«
    »Die NSA schläft nie«, antwortete der Geheimdienstmann lächelnd und drückte sein klebriges Haar wieder ins Schlummerkissen.
    Als die Freiheitsstatue vor dem Kabinenfenster auftauchte, spürte Stella eine altvertraute Erregung. Früher war sie mit ihren Eltern mindestens einmal im Jahr zu den Großeltern nach Connecticut gereist, meistens über New York. Doch noch jedes Mal war sie bisher unruhig auf ihrem Sitz hin und her gerutscht, sobald sie die grüne Dame auf Liberty Island mit ausgestreckter Fackel willkommen hieß.
    Die ob ihrer Strenge berühmt-berüchtigten Beamten der amerikanischen Einwanderungsbehörde bekamen bei den Kalders keine Gelegenheit zum Eingreifen. Friedman und Finmore geleiteten die beiden durch eine Nebentür in einen kahlen Raum, in dem nur ein Tisch und einige Plastikstühle standen. Finmore reichte einem Uniformierten ein Dokument. Der warf einen einzigen Blick darauf, dann auf die Deutschen und schon öffnete sich eine zweite Tür, die unmittelbar ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten führte.
    Stella blickte auf ihre bunte Armbanduhr. Die New Yorker Zeit hatte sie schon im Flugzeug eingestellt. Hier war es erst zwölf Uhr fünfunddreißig, also sechs Stunden früher als jetzt zu Hause. Die LH 400 war erstaunlicherweise pünktlich gelandet und seitdem hatte sich der Minutenzeiger erst um zwanzig Striche weiterbewegt – ein absoluter Einreiserekord! Sie waren bis jetzt nicht einmal dazu gekommen, Viviane anzurufen. Friedman hatte darum gebeten, sich damit noch zu gedulden. Es gebe da einige grundsätzliche Fragen zur Sicherheit des Unternehmens, die erst noch geklärt werden müssten.
    Endlich wieder unter freiem Himmel, hielt Stella sogleich nach einer protzigen langen, pechschwarzen Limousine Ausschau, die, wie sie meinte, zur Abholung derart bevorzugter Gäste bereitstehen müsste. Doch am Ausgang erwartete sie nur ein großes gelbes Taxi. Marks Aluminiumkoffer mit seiner umfangreichen technischen Ausstattung waren schon verladen. Der schwarze Taxifahrer stand lässig an seinen Wagen gelehnt. Stella musterte misstrauisch den

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