Das Netz der Schattenspiele
zerfallenden radioaktiven Substanzen im Gehirn basiert. Ein Cybernaut müsste unter diesen Umständen ja wiederholt und über eine längere Zeit hinweg das dabei gebräuchliche Gasgemisch einatmen. Ich lehne jedes Verfahren ab, bei dem der menschliche Organismus einer solchen Strahlenbelastung ausgesetzt wird.«
»Ich kann Sie beruhigen, Professor. Im Gegensatz zu der von Ihnen angeführten Positronen-Emissions-Tomographie sind für unser NARS keinerlei radioaktive ›Kontrastmittel‹ notwendig. Ohne Frage haben Sie schon einmal etwas von SQUIDs gehört, den supraleitenden Quanten-Interferenz-Geräten. Unser NARS ist eine Weiterentwicklung dieses biomagnetischen Verfahrens, mit dem schon allerkleinste elektromagnetische Veränderungen im Nervensystem gemessen werden können. Wir haben diese Methode revolutioniert!«
DiCampo klang euphorisch, als spreche er von einem neuen Pasta-Rezept. Er war jedoch aufmerksam genug, um Agaf Nbugus angestrengten Gesichtsausdruck zu bemerken – dem Afrikaner bereitete das Sperrfeuer aus wissenschaftlichen Fachausdrücken erhebliche Verständnisprobleme. Auch Salomons immer noch skeptische Miene entging ihm nicht. Daher drosselte er seine Begeisterung durch einen tiefen Atemzug und setzte seine Ausführungen gesetzter fort.
»Wir verwenden unsere Neuro-Aktivitäts-Resonanz-Sonde zur Messung typischer Entladungsmuster im menschlichen Gehirn. Wie gesagt, das Ganze funktioniert ohne schädliche Hilfsmittel. Wir müssen dabei nicht einmal Drähte in den Kopf des Cybernauten einführen. Die NARS-Komponente unseres Intruders lernt mithilfe eines neuronalen Netzes innerhalb kürzester Zeit wiederkehrende Entladungsmuster zu erkennen und ihnen eine Bedeutung zuzuordnen. Auf diese Weise kann der Cybernaut wichtige Steueraktionen auf seiner Reise durch den Cyberspace schneller ausführen als mit Joystick oder Spracheingabe – trotzdem haben wir in Ergänzung zu NARS, gewissermaßen für die ›Feinarbeit‹, beide Möglichkeiten ebenfalls vorgesehen.«
Agaf hakte ein weiteres Mal nach: »Und wie kommen diese Tagträume zustande, von denen Sie gesprochen haben?«
»Wachträume, Mr. Nbugu. Ich hatte von Wachträumen gesprochen.«
Agaf ertrug geduldig die Belehrung DiCampos und harrte einer Auskunft.
»Wir – das heißt, das Intruder-Team – entdeckten sehr bald, dass die NARS-Technologie nicht nur die elektrischen Entladungen der Gehirnzellen messen, sondern bei geringer Modifikation solche auch stimulieren kann. Es würde zu weit gehen, Ihnen hier das Verfahren zu erläutern, jedenfalls erlaubt uns die Apparatur, Informationen aus dem Internet so umzuwandeln, dass sie dem Bewusstsein auf direktem Wege zugeführt werden können. Dadurch erhält der Cybernaut, wenn man so will, einen weiteren Sinn. Wir sind noch lange nicht so weit, das Gehör- oder Sehzentrum ähnlich zu stimulieren, wie es unser Auge oder Ohr vermag, aber wir können Assoziationen wecken. Weil der Cybernaut nicht wirklich schläft, sondern seine Sinnesorgane voll funktionsfähig bleiben, erlauben ihm diese auch über eine komplette VR-Ausstattung das ganze Wahrnehmungsspektrum auszuschöpfen.«
»Und was hat das mit Träumen zu tun?«, hakte Agaf nach.
»Nun, dem Cybernauten wird vor Antritt seiner Reise eine Droge verabreicht, ein völlig harmloser Wirkstoff«, fügte DiCampo schnell hinzu – gerade rechtzeitig, wie das erneut aufkommende Gemurmel zeigte. »Das Mittel versetzt den Cybernauten in einen Zustand völliger Entspannung. Er träumt im wahrsten Sinne des Wortes vor sich hin, ohne aber wirklich zu schlafen. Die Sinnesorgane nehmen weiterhin Reize auf, das Gehirn setzt diese aber direkt in Assoziationen um, die in seine Traumwelt passen.«
Agaf blieb hartnäckig, eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften. »Nennen Sie mich begriffsstutzig, Doktor, aber ich verstehe es immer noch nicht ganz. Was passiert zum Beispiel, wenn ich einen Cybernauten anspreche?«
DiCampo hob Augenbrauen und Zeigefinger zur gleichen Zeit. »Eine gute Frage, Mr. Nbugu. Der Cybernaut wird in seinem Wachtraum vermutlich einen Mann sehen – wenn er Sie genauer kennt, möglicherweise sogar einen dunkelhäutigen – und wird hören und sehen, wie ihn dieses Gegenüber befragt. Das Gehirn setzt die Reize also unmittelbar in passende Traumbilder um.«
Agaf nickte. »Das habe ich jetzt verstanden. Aber warum diese… diese Traummaschine? Weshalb haben Sie diesen komplizierten Weg gewählt? Hätten Sie nicht mit einer weniger
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