Das Netz der Schattenspiele
wie er das hier ›mein Projekt‹ genannt hat? Das nenne ich einen voll motivierten Staatsdiener!«
Alban C. DiCampo hatte inzwischen seinen Platz beim Eingang verlassen und schritt zielstrebig auf das Kopfende des Konferenztisches zu. So konnten nun endlich auch Friedman, Townsend und der Rote John eintreten.
Stella zuckte ein wenig zusammen, als sie den bohrenden Blick des rothaarigen Hünen bemerkte. War der Amerikaner wirklich so nachtragend, dass er die ironischen Bemerkungen aus dem Bus noch immer nicht vergessen hatte? Im Gegensatz zu Friedman und Townsend, die sich am Ende des Tisches freie Stühle suchten, blieb der Rote John neben der Tür stehen und sah weiter zu den Kalders hin. Erst als Stella den Blick offen erwiderte, schweiften seine Augen ab.
Als habe DiCampo den nur für Stellas Ohren bestimmten Kommentar Salomons gehört, setzte er nun seine kleine Rede mit einer wichtigen Anmerkung in eigener Sache fort. Ganz bewusst in Richtung der beiden Deutschen blickend, sagte er: »Mir ist berichtet worden, dass einige in diesem Raum der NSA und ihrer Arbeit kritisch gegenüber stehen. Ich halte jedoch das Cyberworm-Team nicht für die geeignete Plattform, um derartige Differenzen auszutragen. Meine Leute werden gemeinsam mit Ihnen – der von den Vereinten Nationen ausgewählten Spezialeinheit – eine schlagkräftige Truppe bilden. Ich möchte Sie jedoch wissen lassen, dass ich mich in erster Linie mit dem Projekt Intruder identifiziere. Ich habe es ins Leben gerufen. Deshalb ist es mein Projekt, und es wird für mich immer Vorrang haben.«
»Intruder?«, wiederholte Salomon.
DiCampo drückte die Brust heraus und nickte. »Genau so ist es. Der Name I.N.T.R.U.D.E.R. steht für Internet Robot for Ulterior Deprivation and Evation of Restrictions.«
Mit jedem Einzelwort des Akronyms waren Salomons Augen größer geworden. »Beachtlich!«, sagte er in offener Bewunderung. »Der Name hätte mir einfallen können.«
»Vielen Dank, Professor.«
»Ich muss zugeben, dass ich bei Akronymen leicht ins Schwärmen gerate, wie andere Menschen bei erlesenen Weinen. Das, was hinter diesem Namen steckt, gefällt mir allerdings sehr viel weniger. Ich meine, die Bezeichnung ›Internet-Roboter für versteckte Aneignung und Umgehung von Beschränkungen‹ hört sich nicht gerade nach der Neuentdeckung des Penizillins an.«
»Selbstverständlich ist Intruder nur ein interner Projektname, Professor. Wir eignen uns von niemandem Datenmaterial an, der nicht selbst ein Dieb oder ein noch schlimmerer Verbrecher ist. Intruder dient einzig und allein der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten.«
»Diese Phrase ist doch inzwischen so abgedroschen wie die Ausrede des Soldaten, er habe nur auf Befehl unschuldige Zivilisten massakriert.«
»Meine Herren, meine Herren«, fuhr Agaf Nbugu streng dazwischen. »Lassen Sie uns bitte keine gereizte Stimmung aufkommen. Dr. DiCampo, Ihren einführenden Worten kann ich mich nur anschließen: Es wird Cyberworm um keinen Zoll weiterbringen, wenn wir uns hier schon am ersten Tag gegenseitig die Haare ausraufen. In meiner Eigenschaft als Teamleiter dringe ich darauf, dass wir diese Sitzung in einer sachlichen Atmosphäre fortführen – wie es sich für Profis gehört. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
Stella sah, wie schwer es ihrem Vater fiel, an sich zu halten. Wohl nur aus Sympathie für den Afrikaner ließ er sich in seinen Stuhl zurücksinken und nickte stumm. DiCampo kam ihr kaum glücklicher vor. Bisher hatte er in diesem unterirdischen Reich den Ton angegeben. Und mit einem Mal war da noch jemand, der dieses Recht für sich beanspruchte.
»Lassen Sie mich noch einmal kurz unsere bisherigen Erkenntnisse zusammenfassen, bevor ich Ihnen Intruder genauer vorstelle«, sagte der Projektleiter schließlich. Er skizzierte nachfolgend das Profil der einzelnen »Anschläge«, wie er die Computervorfälle ausnahmslos bezeichnete, stellte die Gemeinsamkeiten heraus und ging auf einige Details genauer ein. Im Wesentlichen wiederholte er nur, was alle schon wussten. Ohne allzu große Hast steuerte er dann auf sein Resümee zu.
»Seit 1997 der erste Fall von Cyberterrorismus bekannt wurde, hat die NSA gründlich alle Anschläge untersucht, die mit oder gegen informationstechnische Einrichtungen verübt wurden. Der Vorfall von 1997 war noch vergleichsweise harmlos. Die Internet Black Tigers, eine Splittergruppe der Befreiungstiger von Tamil Eelam, attackierten damals das
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