Das Netz der Schattenspiele
jede andere Einzelorganisation der Welt, aber sie bräuchte dennoch Millionen Jahre, um meinen Code zu knacken. Vermutlich wird man meine Nachricht nicht einmal entdecken, jedenfalls nicht, bevor sie in Vivianes Posteingangskorb landet. Aber dann ist es längst zu spät, den Verfasser zu ermitteln.«
»Ich hab nicht mal die Hälfte von dem verstanden, was du eben gesagt hast… Aber wenn du meinst. Hauptsache, Mutter hat ein Lebenszeichen von uns bekommen.« Stella ließ die laue Abendluft durch ihre Lungen streichen. »Jetzt fühle ich mich schon viel besser.«
Nachdem sie eine Zeit lang schweigend durch das Gelände geschlendert waren, fragte sie: »Wie kann mir eigentlich das helfen, was du in den letzten beiden Tagen gemacht hast?«
»Hm, lass mich nachdenken, wie ich dir das am besten erkläre, ohne allzu technisch zu werden.« Salomon strich sich mit der Linken die Haare nach hinten. »Du erinnerst dich doch noch an mein Beispiel aus dem Flugzeug: die Städte, die Postämter, die Flüsse, auf denen die Datenpakete transportiert werden, die Webmaster…«
»Von Webmastern hast du nichts gesagt«, unterbrach Stella ihren Vater.
»So? Nun, das sind, wenn du so willst, die Statthalter der Serverstädte. Der Webmaster organisiert das Leben in seiner Gemeinde, gibt die Richtlinien vor, nach denen der Datenverkehr zu erfolgen hat, und achtet mithilfe seiner Sicherheitskräfte auch auf die Einhaltung von Recht und Ordnung. Wenn er ganz streng ist, dann kontrolliert er auch, welche Bewohner des Cyberspace seine Stadt betreten und welche sie verlassen dürfen.«
»Und wie soll das gehen?«
»Über die IP-Adressen. Jeder Benutzer des Netzes hat so eine Nummer, die ihn von allen anderen Cyberspace-Bürgern unterscheidet. Bei manchen ist diese Identifikation wie eine Tätowierung, also unveränderlich, bei anderen gleicht sie eher einem Visum, das nur für die Dauer der Reise ausgestellt wird.«
»Ich hasse Nummern!«, versetzte Stella angewidert. Dabei musste sie daran denken, was Salomon ihr in Berlin über die Gefahren eines allzu technischen Umgangs mit dem Menschen erzählt hatte.
»Das geht nicht nur dir so, Sternchen. Deshalb enthält dein Pass ja neben einer Zahlenreihe auch noch zusätzliche Angaben: dein Foto, das Geburtsdatum, die Augenfarbe, die Heimatgemeinde und auch deinen Namen. Im Cyberspace ist es ganz ähnlich. Jeder kann einen sprechenden Namen bekommen, der oft auch darüber Auskunft erteilt, aus welchem Land und welcher Gemeinde – hier nennt man sie Domain – er stammt. Wenn du durch das Internet surfst, tippst du diese Namen vermutlich ziemlich oft ein, die IP-Nummer aber wahrscheinlich so gut wie nie.«
Stella nickte nachdenklich.
»Siehst du. Eigentlich ist alles so einfach, weil du dir um die Auflösung der Namen keine Gedanken machen musst.«
»Einfach? Du bist gut! Was soll denn nun das schon wieder heißen: Namen auflösen?«
»Das sagt man nur so, Sternchen. Diesen Dienst verrichten darauf spezialisierte Namens-Server. Stell sie dir einfach wie riesige Einwohnermeldeämter vor. Sie verwalten die zusammengehörenden Paare von Namen und IP-Adresse und wandeln Erstere in Letztere um – das nennt man dann ›auflösen‹.«
Salomon hielt für einen Moment inne, als hätte er den Faden verloren. Stella nutzte sein Schweigen, um sich das eben Gehörte einzuprägen.
»Eigentlich hattest du mich ja nach etwas ganz anderem gefragt«, fuhr ihr Vater fort. »Du wolltest wissen, womit ich gestern und vorgestern die Zeit totgeschlagen habe.«
»So habe ich es nicht ausgedrückt.«
Salomon zwinkerte Stella zu. »Schon gut, Sternchen. Hab dich schon richtig verstanden. Also, mein SKULL-Tester ist dir ja inzwischen ein Begriff. Ich habe wichtige Teile davon mit dem Intruder verbunden. Wenn du jetzt in deinem Wachtraum durch die Städte und über die Datenströme reist, wirst du ständig einen virtuellen Generalschlüssel bei dir haben.«
Stella sah ihren Vater verständnislos an. »Und wie kann ich den nutzen? Ich werde ihn ja wohl nicht einfach aus der Tasche ziehen und in irgendwelche Schlüssellöcher stecken können, oder?«
»Das hängt ganz davon ab, wie du dir deine virtuelle Welt in der Phantasie zusammenzimmerst. Am besten stellst du dir diesen findigen Helfer wie ein quirliges Frettchen vor – du weißt schon, das sind diese zahmen Iltisse, die manchmal zur Kaninchenjagd abgerichtet werden. Wenn so ein Frettchen irgendwo hinein will – vielleicht um Beute zu fangen –, dann
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