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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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– wie an jedem normalen PC Texte eingeben konnte.
    Die NSA-Spezialisten waren beeindruckt von Stellas rascher Auffassungsgabe. Der Umgang mit der Technik war ihr von frühester Kindheit an vertraut. Sie konnte sogar schneller mit zehn Fingern tippen als manche Sekretärin. Und sie sprach ein so gutes Englisch, dass die Spracherkennung des Intruders schon nach kurzer Zeit hervorragende Ergebnisse lieferte.
    »Ich glaube, du bist jetzt so weit«, sagte Gwen gegen Ende des zweiten Schulungstages. »Wenn du auch dieser Ansicht bist, dann können wir morgen den ersten Wachtraum einleiten.«
    Stella hatte noch immer ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, unter dem Einfluss eines ominösen Elixiers in den Cyberspace vorstoßen zu müssen, aber Gwen erzählte ihr lachend, dass die meisten Kommilitonen an ihrer alten Universität das Studium nur durch massiven Drogeneinsatz durchgestanden hätten: Abends benutzten sie Aufputschmittel, um bis spät in die Nacht feiern zu können, anschließend Schlaftabletten, damit sie wenigstens etwas Ruhe fanden, dann wieder Weckamine für die Vorlesungen, und wenn die Prüfungen anstanden, erneut Beruhigungspillen. Erstaunlich viele Amerikaner behielten diese Gewohnheiten auch im weiteren Berufsleben bei. Lachend bemerkte sie: »Vermutlich bräche unsere gesamte Wirtschaft zusammen, wenn wir von einem Tag auf den anderen alle Stimulantia und Barbiturate abschaffen würden.«
    Etwas unheimlich war Stella die Begeisterung der Ingenieurin für pharmazeutische Lebenshilfen schon, aber zumindest zerstreute Gwens Unbekümmertheit ihre schlimmsten Bedenken.
     
     
    In der Nacht von Freitag auf Samstag verbanden Salomon und DiCampos Softwarespezialisten den auch im Kagee arbeitenden »Generalschlüssel« mit dem Intruder. Abgesehen von dem Projektleiter und den Cyberworm-Analytikern nahm sich kaum jemand die Zeit, auf die neuesten Nachrichten außerhalb des Bunkers von Bau 203 zu achten.
    Die Homepage des Vatikans war »gehackt« worden, wie man den gottlosen Anschlag nannte, der weltweit die erwartungsfrohen Teilnehmer einer päpstlichen Online-Messe schockiert hatte. Anstatt die inzwischen schon zur Routine gewordene Übertragung frommer Gebete im Internet mitverfolgen zu können, bekamen Neugierige wie Gläubige nur einen alten italienischen Spielfilm über einen Priester zu sehen, der mit Gott redete und nicht immer kirchenkonforme Dinge trieb.
    Ähnlich blasphemisch war auch bei einer anderen Internet-Adresse zugeschlagen worden. Die jüdische Online-Gemeinde wurde nachhaltig erschüttert: Per E-Mail eingereichte Gebete für die Jerusalemer Klagemauer waren in geradezu lästerlicher Form abgeändert worden. Den Eingriff hatte man leider erst viel zu spät bemerkt. Unzählige der kleinen beschrifteten Papierstreifen, die der Drucker des Computers ausgespuckt hatte, enthielten nur Unsinn. Der Rechner hatte einfach aus allen eingegangenen Gebeten neue Sätze gebildet, die selten fromm, viel zu oft dagegen jedoch aberwitzig klangen.
    Auch die dritte und zugleich letzte Meldung gehörte der religiösen Sparte an. Sie sorgte bei den Cyberworm-Analytikern endgültig für Verwirrung. Die bisherigen Computeranschläge hatte man als Angriffe gegen die etablierten politischen und wirtschaftlichen Strukturen der westlichen Welt verstanden. Nun aber zielte die Attacke der Cyberterroristen gegen der Menschen heiligstes Gut: den Glauben.
    Der Stein des Anstoßes war eine Serie von manipulierten CD-ROMs. Ursprünglich waren sie von der Heiligen Mutter Kirche herausgegeben worden, um unter permanentem Zeitdruck stehenden Gläubigen den Weg zur Beichte zu erleichtern. Die Software befand sich schon seit längerem im Umlauf und war in Kreisen gläubiger Spitzenmanager sehr beliebt. An jedem Ort, an dem ein Notebook zur Verfügung stand, konnte man seine Sünden eintippen und alsbald die jeweilige Buße abrufen: zehn Ave-Maria, einundzwanzig Rosenkränze…
    Die nun auf den Markt geworfene Charge CD-ROMs verwirrte die bußfertigen Sünder jedoch mit reichlich bizarren Anweisungen. »Mach’s noch einmal, Antonio«, erwies sich als die harmloseste davon. Aufforderungen wie »Verkaufe alles, was du hast, und folge mir nach!« waren schon in apostolischer Zeit mit größter Skepsis aufgenommen worden. Da beachtete man doch lieber die Empfehlung: »Den Napf deines Hundes sollst du nicht verschmähen!«
    Was steckte hinter dieser jüngsten Welle von Computerangriffen? Man suchte verzweifelt nach Erklärungen, wie

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