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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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belebten Platz. Im Hintergrund befanden sich Fachwerkhäuser. Etwas weiter vorn stand ein steinerner Brunnen mit einer Neptunfigur obenauf. Der Meeresgott wurde von einer Schar Wassergeister umringt, die den Brunnen aus ihren Füllhörnern mit Nachschub versorgten.
    Überall waren Marktstände aufgebaut, angefüllt mit Waren, so vielfältig und bunt wie alle Reichtümer des Orients zusammen. Verunsichert drehte sich Stella um. Sie vermisste etwas. War sie nicht eben durch eine Tür getreten? Aber hier war weit und breit keine. Sie befand sich mitten im Getümmel des Marktes und unmittelbar vor einem nur hüfthohen Tisch, auf dem mehrere hölzerne Käfige zur gefälligen Begutachtung durch die Kundschaft aufgereiht waren.
    Interessiert musterte Stella den Inhalt der vergitterten Holzkästen. In jedem befand sich ein Iltis. Die meisten waren braun, einige rötlich, einer aber – nur ein einziger – schneeweiß.
    »Na, schönes Mädchen, schon was verkauft?«, fragte plötzlich eine Stimme in Stellas Rücken.
    Sie fuhr erschrocken herum. Vor ihr stand ein grobschlächtiger Kerl mit schütterem schwarzem Haar. Er trug ein fleckiges, halb zerrissenes Hemd und eine mehrfach geflickte Hose, die ihm kaum bis über die Knie reichte. Der Mann grinste sie in einer Weise an, die bestimmt nicht schicklich war. Er sah nicht eben wie jemand aus, der Geld hatte, nicht einmal ein vollständiger Satz Zähne stand ihm zur Verfügung.
    »Scher dich weg«, entgegnete Stella barsch, und als der Fiesling mit einer geknurrten Bemerkung das Weite suchte, wunderte sie sich über die eigene Courage.
    Schon näherte sich ein weiterer Kunde. Diesmal jedoch handelte es sich um einen wesentlich angenehmeren Zeitgenossen. Der Mann ritt zu Pferde. Er war ebenfalls dunkelhaarig, eher kurz geraten, schien aber von vornehmer Geburt zu sein, denn sein tiefgrünes samtenes Wams und seine eng anliegenden Beinkleider, beide aus kostbarem Tuch, waren nicht nur erstaunlich sauber, sondern auch ohne jede Flickstelle. Auch die stolze Haltung des Fremden wies auf eine Person gehobenen Standes hin, genauso wie seine gepflegte Ausdrucksweise.
    »Seid mir gegrüßt, holde Maid. An diesem goldenen Morgen glaubte ich schon, das Licht der Sonne sei das Schönste, was mir widerfahren könnte. Doch jetzt sehe ich Euch. Welch Narr ich doch war!«
    Stella schlug beschämt die Augen nieder. Und warf zum ersten Mal einen Blick auf sich selbst. Sie trug eine weite Bluse aus weißem Leinen und ein dunkelgraues wollenes Wams, das unter ihrer merkwürdig fälligen Brust geknöpft war. Auch die Hüften, von denen ein gleichfalls schieferfarbener Rock fast bis auf den Boden fiel, erschienen ihr seltsam rund und weiblich. Erstaunt, ja geradezu erschrocken, fuhr sie sich mit der Hand über das Gesicht. Wo sie hässliche Erhebungen von Pickeln vermutet hatte, ertastete sie nur glatte, pfirsichweiche Haut.
    Es dauerte einen langen Atemzug, bis Stella diese erfreulichen Veränderungen verdaut hatte. Dann hob sie wieder das Kinn und sagte höflich, aber selbstbewusst: »Ihr wollt mir nur schmeicheln, edler Herr, um meinen Preis zu drücken. Doch täuscht Euch nicht: Ich bin nur jung, nicht dumm.«
    Da lachte der Fremde und stieg von seinem Pferd. »Ihr gefallt mir, Mädchen. Sagt mir Euren Namen.«
    »Alle hier nennen mich Stella.«
    »Als hätt ich’s nicht gewusst!«, jubilierte der edle Herr. »Wer nur kann schöner als die Sonne sein, natürlich ein anderer, noch prächtigerer Stern!«
    »Darf ich auch erfahren, mit wem ich die Ehre habe?«
    »Das dürft Ihr durchaus. Mein Name ist Lorenzo della Valle. Ich bin der persönliche Sekretär des Statthalters von Enesa, dieser schönsten aller Städte Illusions. Er ist es auch, der mich zu Euch gesandt hat, schöne Maid.«
    »Dann seid Ihr also hier, um einen Iltis zu kaufen«, eröffnete Stella den geschäftlichen Teil der Unterhaltung.
    Der Fremde sah, dass er sich bei dem anmutigen Mädchen nicht mehr als einen Korb holen konnte, und reduzierte seinen Überschwang auf ein freundliches Lächeln. »Fürwahr, das ist mein Ansinnen«, erwiderte er. »Ich glaube, ich habe auch schon meine Wahl getroffen. Dieses Tier dort, weiß wie der erste Schnee im November, ist es, das mein Herz höher schlagen lässt. Mein Herr würde Euch einen redlichen Preis dafür zahlen.«
    Stella blickte verunsichert auf den weißen Iltis. Und mit einem Mal hatte sie das Gefühl, das Tier erwidere ihren Blick auf seltsam verständige Art. Von einer

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