Das Netz der Schattenspiele
hellgrün lackiert und der Fußboden grau gefliest. Von der Decke flutete helles Neonlicht. Überall standen technische Apparaturen herum, hauptsächlich Monitore und Überwachungsgeräte für die Körperfunktionen des Cybernauten.
Über die rückwärtige Wand des rechteckigen Raumes zog sich ein Kontrollpult mit weiteren Anzeigen, Schaltern und Reglern. Der Intruder wurde im Wesentlichen über drei Computerterminals gesteuert, die auf dem Steuerpult standen. Die Längswände des Labors waren vollständig aus Glas. An der einen Seite sah Stella auf einen ganzen Zoo von Computern, Festplattenstationen und anderem elektronischen Getier. Gegenüber – hier waren die Scheiben so dunkel getönt, dass man kaum hindurchsehen konnte – befand sich ein Zuschauerraum mit mehreren Stuhlreihen.
Gwen versäumte nicht, in jedem zehnten Satz zu wiederholen, wie ungefährlich all die Apparate im Intruder-Labor für den Cybernauten seien; ein Großteil davon diene im Gegenteil nur zu seinem Schutz. Stella verstand zwar nicht, warum etwas derart Sicheres einen so immensen Kontrollaufwand erforderte, doch als die Intruder-Ingenieurin ihr die Funktionsweise des Zahnarztstuhles zu erklären begann, fühlte sie sich allmählich wieder auf vertrautem Terrain.
Im Raum waren neben Stella und ihrer Unterweiserin auch drei weitere NSA-Ingenieure anwesend, außerdem befanden sich noch Kimiko Shirakaba und Benjamin Bernstein im Labor (endlich hatte Stella den Namen des schüchternen jungen Mannes erfahren, den alle nur Benny nannten).
»Das hier ist der VR-Helm«, erklärte Gwen gerade und zeigte Stella eine Kugel, die entfernt an einen Motorradhelm erinnerte. »Er enthält Lautsprecher und ein Mikrofon. Viel wichtiger aber ist das sehr leuchtstarke TFT-Display in seinem Inneren. Hast du den Helm erst einmal aufgezogen, zeigt er dir ein dreidimensionales Bild – es ist natürlich nur dann räumlich, wenn das auch einen Sinn ergibt. Die meiste Zeit über werden deine Augen ohnehin nur Textinformationen sehen, die erst in deinem Gehirn zu Landschaften, sprechenden und sich bewegenden Personen oder Ähnlichem verwandelt werden. Besitzt du Phantasie, Stella?«
»Mein Vater sagt immer, ich könnte ruhig etwas weniger davon haben.«
»Na, für den Intruder kann es nie genug sein. Je reger deine Phantasie, desto lebendiger wird der Cyberspace für dich sein. Sobald ich dir die Grundelemente des Intruders gezeigt habe, werden wir ein paar Probeausflüge unternehmen.«
Gwen nahm sich sehr viel Zeit, Stella alles zu erklären. Auf jede Frage ihrer Schülerin ging sie mit einer wahren Engelsgeduld ein. Auch Kimiko und Benny erkundigten sich hin und wieder nach technischen Details, die Gwen jedoch sehr viel weniger ausführlich erläuterte. DiCampo hatte ohne Frage dafür gesorgt, dass die »Öffentlichkeit« nicht mehr von dem Intruder erfuhr, als für die Durchführung des UN-Auftrages unbedingt nötig war.
Am Freitagabend hatte Stella alle wesentlichen Bedienelemente kennen gelernt, allerdings noch nicht das System unter dem Einfluss der Droge, also im Wachtraum erkundet.
Auch ohne den Wirkstoff war das Surfen im Internet mit dem Intruder schon eine aufregende Angelegenheit. In ihrem VR-Helm konnte Stella alles sehen, was das Web an Daten lieferte. Der Helm reagierte auf jede Bewegung ihres Kopfes. Wichtige Informationen befanden sich direkt vor ihr, weniger wichtige konnte sie in ihr Sichtfeld rücken, wenn sie den Hals drehte oder den Kopf neigte. Bald gelang es ihr sogar, einfache Steuerkommandos allein durch Willenskraft zu geben. Im VR-Helm war nämlich auch die von DiCampo so hochgelobte Neuro-Aktivitäts-Resonanz-Sonde untergebracht. Sie war in der Lage, die minimalen elektrischen Entladungen, die beim so genannten »Feuern« einer Nervenzelle im Gehirn entstehen, zu messen und auszuwerten. Es bedurfte nur eines bestimmten Gedankens und schon reagierte das System. Ähnlich wie ein Autofahrer nach entsprechender Übung einfachere Schaltvorgänge aus dem Unterbewusstsein heraus vollzieht, gelang es Stella mit zunehmendem Training immer besser, ihre Denkbefehle abzugeben.
Weitere Bestandteile der Cybernauten-Intruder-Schnittstelle, von Gwen einfach CI-Interface genannt, waren ein Mikrofon für Spracheingaben, die das System mit erstaunlicher Sicherheit in Aktionen oder geschriebenen Text umsetzte, ein Joystick, der manuelle Richtungswechsel im virtuellen Raum erlaubte, und eine Tastatur, über die man – wenn wirklich nichts mehr half
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