Das Netz der Schattenspiele
sich diese Anschläge mit der bisherigen Theorie einer politisch motivierten, extremistischen Gruppe vereinbaren ließen.
Die Klärung derartiger Detailfragen gehörte nicht zu Agaf Nbugus Aufgabenfeld. Als Leiter der Cyberworm-Einheit musste er den Überblick bewahren. Er koordinierte die einzelnen Arbeitsgruppen und achtete auf deren reibungslose Zusammenarbeit. Besonderes Augenmerk legte er aber auf Mark Kalder.
Dem nigerianischen Teamleiter war der Gedanke, Stella an die Intruder-Apparatur anzuschließen, beinahe ebenso gegen den Strich gegangen wie deren Vater. Zwar hatte auch er sich letztendlich den zwingenden Argumenten DiCampos nicht verweigern können, aber dafür überwachte er nun mit Argusaugen jeden Schritt von Stellas Ausbildung.
Auch Salomon besuchte er mehrmals täglich. Selbst wenn dieser sich in seinen Privatraum zurückgezogen hatte, um ungestört arbeiten zu können, kam Agaf wie zufällig vorbei, brachte einen Kaffee oder erkundigte sich nach dem Fortschritt der Arbeit. Er versuchte sich nützlich zu machen, wo er nur konnte. Der Italiener dagegen ignorierte den Teamleiter, wo es ihm nur möglich war.
Salomon sah sich in der Zwickmühle. Zwar schätzte er Agaf, aber auf dessen Störungen hätte er lieber verzichtet. Der Afrikaner begnügte sich nämlich nicht damit, einfach nur dazusitzen und dem deutschen Cracker bei der Arbeit zuzusehen. Sobald er etwas nicht verstand, stellte er Fragen und gab nicht eher Ruhe, bis er den Sachverhalt verstanden hatte.
Irgendwie hatte es Salomon dann doch geschafft, sein Arbeitspensum zu bewältigen. Ja, sogar am Abend vor Stellas großem Auftritt – angesichts eines acht- oder zehnstündigen Endspurts also – ließ er es sich nicht nehmen, mit seiner Tochter den obligatorischen Spaziergang durch das NSA-Gelände zu machen.
Die Sonne stand an diesem Freitagabend schon tief. Der Himmel war von einer lockeren Schar Wolken übersät, die wie eine Herde grasender Schafe aussahen. Allmählich tauchte die Sonne die wolligen Himmelstierchen in ein rot flammendes Licht.
»Irgendwie ist mir nicht ganz wohl dabei, wenn ich an den morgigen Tag denke«, gestand Stella ihrem Vater.
Salomon legte seinen Arm um ihre Schulter. »Mir geht es genauso, Sternchen. Wenn es irgendwelche Komplikationen geben sollte, werden wir dich von der Apparatur trennen. Das hat Agaf versprochen und Dr. DiCampo ist ebenfalls damit einverstanden – notgedrungen, weil er meine Zustimmung anders niemals bekommen hätte.«
»Was hältst du von dem Italiener?«
Salomon zog die Mundwinkel herab und hob die Schultern. »Ich werde nicht recht schlau aus ihm. Meiner Ansicht nach ist er schlicht von seinem Projekt besessen. Er will es mit Macht vorantreiben und alles fern halten, was dessen Fortschritt behindern könnte. Aber das scheint mir nur legitim zu sein. Jeder Wissenschaftler, der seine Forschungsarbeit ernst nimmt, muss sich wahrscheinlich so verhalten. Mir ist es ja jahrelang ähnlich gegangen.«
»Das meinte ich aber nicht, Paps. Glaubst du, wir können ihm trauen?«
Wieder zuckte Salomon mit den Schultern. »Dazu kenne ich DiCampo noch nicht lange genug. Er ist mir nicht gerade sympathisch, aber das kann man auch nicht verlangen. Auf jeden Fall werde ich nicht vergessen, für welche Behörde er arbeitet. Ich bleibe auf der Hut, das kannst du mir glauben.«
»Wenn nur Viviane wüsste, wo wir jetzt sind!«
Salomon drückte Stella enger an sich. »Ich habe ihr heute eine E-Mail geschickt.«
Stella schob ihren Vater etwas von sich und blickte ihm erstaunt in die Augen. »Aber ich denke…«
»Ich habe ihr nur geschrieben, dass wir unseren Zielort in den Staaten wohlbehalten erreicht haben und noch bis über beide Ohren in Arbeit stecken. Das musste einfach sein, nachdem ich von New York aus nur auf ihren Anrufbeantworter sprechen konnte. Jetzt weiß sie wenigstens, dass ich von den Behörden in einer dringenden Angelegenheit um Hilfe gebeten worden bin und wir sie besuchen kommen, sobald ich mit meiner Arbeit fertig bin.«
»Wird der Italiener das nicht spitzkriegen?«
Salomon zeigte sein bestes Schlitzohrlächeln. »Ich habe die Mail mit einem 128-Bit-Key verschlüsselt und in ein harmlos erscheinendes ICMP-Paket eingebunden, das an meinen Rechner im TU-Institut abgegangen ist. Erst dort wird es in eine richtige E-Mail verwandelt und über eine anonyme Remailer-Kette des Cyberpunk-Typs II an deine Mutter weitergeleitet. Die NSA verfügt zwar über mehr Computerleistung als
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