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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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so einsam. Ich möchte lieber zur Schule gehen, so wie Vera. Ich möchte in dem gelben Schulbus fahren. Ich möchte Freundinnen haben, mit denen ich spielen kann…und ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einen Geburtstag gefeiert zu haben.«
    »Kannst du dich an Veras Geburtstagsfeiern erinnern?«
    »Nein.«
    »Dasliegtdaran,daßwirindiesemHauskeineGeburtstage feiern. Es ist viel gesünder, die Zeit zu vergessen und zu leben, als gäbe es keine Uhren und keine Kalender. Auf diese Weise wird man niemals alt.«
    Seine Geschichte war genau wie die von Mammi…viel zu sehr wie ihre. Die Zeit war wichtig, Geburtstage ebenfalls; beides war wichtiger, als er sagte.
    Er sagte gute Nacht, schloß die Tür und ließ mich auf dem Bett liegend nachdenklich zurück.
    Eines Nachts wurde ich durch Schreie wach. Durch meine Schreie. Ich saß im Bett, umklammerte die Decke, zog sie bis zum Kinn hinauf. Ich hörte das Klatschen von Papas nackten Füßen im Flur, als er herbeigelaufen kam. Dann hockte er sich auf mein Bett, nahm mich in seine Arme, strich mein zerzaustes Haar glatt, beruhigte mich, damit ich aufhörte zu schreien. Er versuchte wieder und wieder, mich zu trösten und zur Vernunft zu bringen. Bald schlief ich wieder ein, sicher und geborgen in seinen Armen.
    Ich wachte vom Morgenlicht auf. Papa stand in der Tür und lächelte breit, es war fast, als hätte er mich nie allein gelassen. »Sonntagmorgen, Liebling. Zeit zum Aufstehen. Zieh deine Sonntagskleider an, dann brechen wir auf.«
    Verschlafen starrte ich ihn an. War es erst eine Woche her, daß sich Vera das Bein gebrochen hatte? Oder lag das schon viel, viel länger zurück? Es war eine Frage, die ich Papa stellte.
    »Liebes, verstehst du jetzt, was ich meine? Es ist Dezember. In fünf Tagen ist Weihnachten. Sag nicht, du hättest das vergessen.«
    Aber ich hatte es vergessen. Die Zeit flog so schnell an mir vorbei. O Gott…was Vera über mich gesagt hatte, war richtig. Mein Kopf war leer, ich war vergeßlich.
    »Papa!« rief ich nervös, ehe er die Tür schloß, damit ich mich zum Kirchgang anziehen konnte. »Warum laßt ihr, du und Mammi, jeden in der Kirche glauben, daß Vera eure Tochter sei und nicht die von Tante Elsbeth?«
    »Wir haben jetzt keine Zeit für eine Diskussion, Audrina. Außerdem habe ich dir schon oft erzählt, wie deine Tante für zwei Jahre fortging und dann mit einer einjährigen Tochter wiederkam. Sie hat natürlich damit gerechnet, Veras Vater zu heiraten. Wir konnten nicht jeden wissen lassen, daß eine Whitefern ein uneheliches Kind geboren hatte. Ist es denn ein solches Verbrechen, daß Vera als unsere Tochter gilt und wir deiner Tante damit die Schande ersparen? Wir sind hier nicht in New York, Audrina. Wir leben im Bible Belt, und hier wird von guten Christen erwartet, daß sie die Gebote des Herrn befolgen.«
    Veras Vater war irgendein Mann, und mein Vater war großzügig und handelte anständig, und ich war seine einzige lebende Tochter. Vera tat gern so, als sei er ihr Vater, aber das war er nicht. »Ich bin so froh, daß ich deine einzige Tochter bin…die lebt.«
    Einen Augenblick starrte er mich an, preßte die vollen Lippen zusammen. Man hatte mir mehr als einmal erzählt, daß die Augen die Fenster der Seele wären. Also kümmerte ich mich nicht um seine Lippen, sondern musterte die dunklen, verschlossenen Augen. In ihnen ruhte etwas Hartes und Mißtrauisches. »Deine Mutter hat nichts anderes gesagt, oder?«
    »Nein, Papa, aber Vera.«
    Da lachte er plötzlich und zog mich so fest an seine Brust, daß mir hinterher die Rippen schmerzten. »Was macht es schon, was Vera sagt? Sie möchte natürlich als meine Tochter gelten. Schließlich bin ich der einzigeVater, den sie je gekannt hat. Und wenn alle anderen denken, Vera wäre das Kind deiner Mutter, dann laß sie doch. Es gibt nirgendwo eine Familie, die nicht einen dunklen Punkt hat. Unsere dunklen Punkte sind nicht schlimmer als die von irgend jemand anderem. Und wäre die Welt nicht langweilig, wenn jeder über jeden alles wüßte? Geheimnisse sind die Würze des Lebens. Sie halten die Leute am Leben, weil sie hoffen, alle nur möglichen Geheimnisse aufzudecken.«
    Ich dachte, daß die Welt ohne all die Geheimnisse und dunklen Punkte schöner sein würde. Meine eigene Welt wäre perfekt, wenn nur alle in meinem Heim Ehrlichkeit zu schätzen wüßten.

Der Schaukelstuhl
    An diesem Abend, kurz nachdem ich zu Bett gegangen war, kam Vera in mein Zimmer. Ich war

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