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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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hängte sich von Tag zu Tag mehr an mich und schränkte mich immer mehr ein. Ständig, außer nachts, behandelte er mich wie seine Frau. Tatsächlich lauschte ich seinen Erzählungen über den Börsenmarkt mit weit mehr Toleranz und Verständnis, als Mammi es jemals getan hatte, und meine Tante brachte für diese Art langweiligen Geschwätzes überhaupt keine Geduld auf.
    »Ich werde dafür sorgen, daß Papa mir auch Musikunterricht bezahlt«, erklärte Vera und sah mich an. Ich wußte, daß sie mir das Leben zur Hölle machen würde, wenn sie ihren Willen nicht durchsetzen konnte.
    Schon am nächsten Morgen trug Vera ihre besten Kleider. Ihr sonderbares, helloranges Haar schmeichelte ihrem bleichen Gesicht irgendwie, und ihre dunklen Augen waren wirklich aufregend. »Für Audrina tust du alles und für mich überhaupt nichts«, beklagte sie sich bei Papa. »Dabei ist es meine Mutter, die dein Essen kocht und dein Haus putzt und deine Sachen wäscht und bügelt, und du bezahlst ihr keinen Pfennig dafür. Ich möchte auch Musikunterricht bekommen. Ich bin bestimmt genauso talentiert wie Audrina.«
    Er starrte Veras blasses Gesicht an, bis sie errötete undsich halb abwandte, wie sie es immer tat, wenn sie etwas zu verbergen hatte. »Ich brauche auch etwas Schönes in meinem Leben«, jammerte sie, schlug ihre dunklen Augen nieder und zupfte an einer Locke ihres aprikosenfarbenen Haares.
    »Also schön, einmal in der Woche auch für dich«, sagte er grimmig. »Du gehst zur Schule und hast Hausaufgaben zu machen. Audrina kann eine Stunde täglich haben, damit ihre Zeit ausgefüllt ist und sie ihre Sorgen vergißt.«
    Ich war sicher, daß Vera mit diesem ungleichen Arrangement nicht zufrieden sein würde, aber merkwürdigerweise beklagte sie sich nicht.
    Am Freitag nahm ich Vera mit, um sie Mr. Rensdale vorzustellen. »Oh, Schönheit scheint wirklich in der Familie der Whiteferns zu liegen, wie es alle hier im Dorf behaupten«, sagte er, hielt ihr die Hand hin und lächelte. »Ich glaube, ich habe noch niemals zwei so hübsche Schwestern kennengelernt.«
    Mir kam es so vor, als würde Vera seine Finger umklammern und selbst dann nicht loslassen, als er aufhören wollte, ihr die Hand zu schütteln. »Ach, ich bin längst nicht so hübsch wie Audrina«, erklärte Vera leise und schüchtern und klimperte dabei mit den gefärbten Wimpern. »Ich hoffe bloß, daß ich wenigstens halb soviel Talent habe.«
    Ich konnte sie nur anstarren. Dieses Mädchen, das da mit Mr. Rensdale sprach, war nicht die Vera, die ich kannte. Ich merkte sofort, daß sie ihm gefiel und daß er dankbar für eine weitere Schülerin war. Vor allem für eine, die ihm schmeichelte und nicht aufhören konnte, ihn anzustarren. Wann immer sie konnte, pickte sie ein Stäubchen von seinem Anzug oder strich ihm die Locke aus dem Gesicht, die ihm beständig in die Stirn fiel.
    Auf dem Heimweg vertraute sie mir alles an, was sie von ihren Schulfreundinnen über ihn wußte. »Er ist sehr arm, ein Künstler, der ums Überleben kämpft, heißt es. Ich habe gehört, daß er in seiner Freizeit Musik komponiert und hofft, seine Stücke an einen Broadway-Produzenten verkaufen zu können.«
    »Ich hoffe, daß er es schafft.«
    »Du hoffst das auch nicht annähernd so sehr wie ich«, erklärte sie hitzig.
    Die Monate vergingen so schnell, und Sylvia kam immer noch nicht heim, so daß ich mich immer mehr um meine kleine Schwester ängstigte. Ich wußte, daß mein Vater meine Tante mehrere Male mitgenommen hatte, um sie zu besuchen, also gab es sie wirklich. Aber nicht ein einziges Mal hatte Papa mir erlaubt, sie zu sehen. Er ging mit mir ins Kino, in den Zoo und besuchte natürlich auch das Grab der ersten Audrina, aber Sylvia war immer noch unerreichbar für mich.
    So sehr ich auch bettelte und flehte, Papa weigerte sich, Sylvia heimzuholen. Mehr als ein Jahr war es jetzt her, daß meine Mutter gestorben und Sylvia geboren worden war.
    »Sie wiegt inzwischen doch bestimmt über fünf Pfund?«
    »Ja, jedesmal wenn ich sie sehe, wiegt sie ein bißchen mehr.«
    Er sagte es zögernd, als wünschte er, es wäre nicht so.
    »Papa, sie ist doch nicht blind, ohne Arme oder Beine–es ist doch alles da, oder nicht?«
    »Ja«, sagte er mit belegter Stimme, »sie hat die richtigen Teile an den richtigen Stellen, hat alle vier Glieder, die gleiche weibliche Ausstattung wie du. Aber sie ist immernoch nicht kräftig genug«, erklärte Papa zum x-ten Mal. »Sie ist nicht ganz normal,

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