Das Netz im Dunkel
Verzweiflung an mich, daß ich Mitleid für ihn empfand, Liebe, aber auch Haß…und ich brauchte ihn auch. Ich durfte Arden überhaupt nicht mehr sehen, aber es gelang mir häufig, mich zu dem Häuschen im Wald zu schleichen.
Wann immer ich Gelegenheit hatte, saß ich an dem großen Flügel und überlegte, wie ich die Hände halten mußte, wohin ich die Finger legen mußte, damit eine so zauberhafte Musik erklang wie früher bei Mammi. Stunden um Stunden hämmerte ich auf den Tasten herum, bis ich spürte, daß das Klavier die häßlichen Töne nicht mochte, die ich ihm entlockte. Ich konnte nicht spielen. Selbst wenn Mammi vor langer Zeit einmal versucht hatte, mir das Spielen beizubringen, so hatte ich ihr Talent doch nicht geerbt, genausowenig, wie ich irgendein Talent von der ersten und unvergessenen Audrina geerbt hatte. ›Ich bin dumm und untalentiert‹ sagte ich mir immer wieder und quälte mich selbst damit.
»Audrina«, tröstete Arden mich eines Tages, nachdem ich ihm vorgeklagt hatte, daß ich überhaupt kein Talent hätte, »niemand weiß von allein, wie man spielen muß.«
»Weißt du, was?« sagte ich. »Ich werde Papa erklären, daß ich einfach Unterricht haben muß. Er wird bestimmt dafür bezahlen, wenn ich nur lange genug darum bettele.«
»Bestimmt«, antwortete er, wandte sich aber unbehaglich ab. Danach gingen wir Hand in Hand zum Haus. Zu meiner Enttäuschung blieb Billie zwar am Fenster, lud mich aber immer noch nicht ins Haus ein. Arden und ich unterhielten uns durchs offene Fenster mit ihr. Leicht hätten Fliegen ins Haus dringen können, und meine Tante hätte das verrückt gemacht. Aber Billiemachte sich wegen der Fliegen offensichtlich keine Gedanken, sondern schien einfach glücklich, mich wiederzusehen.
Noch am selben Abend sprach ich wegen meines Musikunterrichts mit Papa. »Ich habe dich herumklimpern hören. Wenn irgend jemand Unterricht braucht, dann bist du es. Deine Mutter wäre natürlich entzückt gewesen. Und ich bin es auch.«
Ich konnte nicht glauben, daß er seine Meinung so vollkommen geändert haben sollte. Er schien einsam, gelangweilt, und ich trat näher, so daß ich meine Arme um ihn legen konnte. Vielleicht würde Papa nun doch versuchen, mich glücklich werden zu lassen.
»Tut mir leid, daß ich all die schrecklichen Dinge gesagt habe nach Mammis Tod, Papa. Ich hasse dich nicht, und ich gebe dir auch nicht die Schuld daran, daß sie tot ist. Wenn du bloß Sylvia heimbringen würdest, dann hätte ich nicht das Gefühl, daß sie für nichts gestorben ist. Bitte, bring Sylvia bald heim.«
»Liebling«, sagte er und sah fort, »das werde ich. Sobald die Ärzte es erlauben, wirst du deine kleine Schwester bekommen.«
In dieser Nacht sagte ich mir, daß Gott vielleicht wußte, was er tat, wenn er Mütter fortnahm und Vätern dafür eine neue Tochter schenkte. Vielleicht hatte er einen guten Grund dafür, zu tun, was er getan hatte. Auch wenn es mir die Mutter nahm, die ich so dringend brauchte, würde Sylvia sie doch nicht vermissen, denn sie hätte mich und würde nichts anderes kennen.
Es war schon Sommer, als der Musiklehrer, den Arden kannte, endlich von einem langen Aufenthalt in New York City zurückkam. An einem wunderschönen Tag nahm mich Arden auf der Lenkstange seines Rades mit nachWhitefern Village, um mich Lámar Rensdale vorzustellen. Er war groß und sehr dünn, mit einer hohen, breiten Stirn und wildem, lockigem, schokoladenbraunem Haar. Seine Augen hatten genau dieselbe Farbe wie sein Haar. Wohlwollend musterte er mich von oben bis unten, lächelte, führte mich dann zum Klavier und bat mich, ihm zu zeigen, was ich bereits konnte. »Spiel einfach so herum, wie du es immer gemacht hast«, sagte er und blieb hinter mir stehen, während Arden sich setzte und mir aufmunternd zulächelte.
»Nicht so schlecht, wie du gesagt hast«, erklärte Mr. Rensdale. »Deine Hände sind klein, aber du kannst eine Oktave fassen. Hat deine Mutter außergewöhnlich gut gespielt?«
So fing es an. Natürlich wußte Papa, daß es Arden war, der mich ins Dorf und wieder zurückfuhr, aber er sagte nichts. »Aber spiel nicht mit ihm im Wald herum. Bleibt die ganze Zeit in Sichtweite seiner Mutter. Du darfst nie mit ihm allein sein. Niemals. Ist das klar?«
»Jetzt hör mal, Papa«, fing ich an, sah ihm offen ins Gesicht und bemühte mich, meiner Stimme einen festen Klang zu verleihen, »Arden ist kein so schlechter Junge, wie du denkst. Wir treffen uns nicht im Wald,
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