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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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nicht mehr. Es war, als hätte sie Angst, ich könnte jetzt etwas dagegen haben. »Du versetzt dich in meine Lage und denkst, du könntest so nicht leben. Aber irgendwie erscheint es einem gar nicht mehr so schlimm, wenn man tatsächlich betroffen ist. Andererseits, und da sind wir Menschen nun einmal eigenartig, kann ich mich wieder umschauen und mich fragen: Warum gerade ich? Warum nicht sie? Oder der? Wenn ich wollte, könnte ich mich in einen Abgrund von Selbstmitleid stürzen. Aber meistens denke ich gar nicht über den Verlust meiner Beine nach.«
    Da stand ich nun, verlegen, peinlich berührt, beschämt.
    Fast konnte ich ihre Beine sehen, die nicht da waren. »Arden hat mir erzählt, er sähe dich immer mit deinen Beinen, niemals ohne sie.«
    »Ja«, sagte sie, und ihre Augen leuchteten. »Er ist ein wunderbarer Sohn. Ohne ihn hätte ich wahrscheinlich aufgegeben. Er hat mich gerettet. Weil ich Arden hatte, war ich gezwungen, weiterzumachen und zu lernen, selbständig zu sein. Und Arden würde alles für mich tun. Irgendwie haben wir es geschafft, weil wir einander hatten. Es war nicht leicht, aber gerade weil es schwer war, haben wir noch mehr Grund, stolz zu sein. Aber jetzt genug von mir. Was treibt dich so früh hierher?«
    Als ich zögerte, fuhr sie mit ihrer Arbeit fort. Ihr hoher Stuhl auf Rollen stand so, daß sie ohne Mühe von einer Stelle zur anderen gelangen konnte, indem sie sich mit den Händen abstieß oder zu etwas zog. Doch dann passierte es, schneller, als ich sehen konnte–sie rutschte vom Stuhl und fiel krachend vor meine Füße. Da lag sie nun wie eine große, halbe Puppe.
    Ich wollte ihr helfen.
    »Hilf mir nicht!« befahl sie, und innerhalb von Sekunden hatte sie sich mit ihren kräftigen Armen auf den Stuhl zurückgehievt. »Audrina, schau mal in die Speisekammer. Dort siehst du einen kleinen, roten Karren. Den benutze ich, wenn ich durch die Gegend flitze. Arden hat ihn für mich gemacht. Er will ihn jedes Jahr neu streichen, immer in einer anderen Farbe, aber ich lasse ihn nicht. Ich mag Rot am liebsten. Ich bin nicht schüchtern, Liebes.«
    Ich lächelte schwach, wünschte, ich könnte ebenso tapfer sein. Dann fragte ich, ob Arden bereits fort wäre.
    »Ja, ist er. Wenn dieser lausige Kerl von einem Ehemann mir mehr Geld schicken würde, dann bräuchte mein Sohn sich nicht zu Tode zu schuften.«
    Sie drehte sich um und strahlte. »Aber nun mach schon, sag mir, was du so früh bei uns treibst.«
    »Billie, Sylvia kommt heute heim. Meine Tante hat mir erzählt, sie sei nicht normal, aber das ist mir egal. Ich habe ein so schlechtes Gefühl, weil ein armes, kleines Baby niemals seine Mutter gekannt hat, außer Papa niemanden hat, der es liebt. Und das reicht nicht, vor allem, wenn Papa sie nur ein-, zweimal im Monat besucht wenn er das überhaupt tut. Bei meinem Vater weiß man nie, wann er die Wahrheit sagt, Billie.«
    Ich schämte mich. »Er lügt, und man weiß, daß er lügt; und er weiß, daß man es weiß, aber es macht ihm nichts aus.«
    »Klingt ja schlimm.«
    »Gestern habe ich Arden erzählt, daß Sylvia heute vielleicht heimkommen würde. Ich kenne Papa, deshalb war ich mir nicht sicher. Aber ich habe gelauscht und gehört, wie er gestern abend telefoniert hat. Er bringt sie heim. Er hat auch in seinem Büro angerufen und Bescheid gesagt, daß er heute nicht kommen würde. Habe ich dir schon gesagt, daß er jetzt Manager ist?«
    »Ja, Liebes, mindestens zwei dutzendmal. Und jetzt werde ich dir etwas sagen, was du vielleicht selbst nicht weißt. Du bist sehr stolz auf deinen Papa. Selbst wenn du glaubst, du magst ihn nicht oder du haßt ihn, dann haßt du ihn und bist gleichzeitig traurig darüber. Aber keiner von uns ist nur gut oder nur schlecht. Es gibt alle möglichen Schattierungen. Keine Teufel durch und durch, keine wahrhaftigen Engel und Heiligen.«
    Sie lächelte. »Liebe du deinen Papa nur weiter, auch, wenn er nicht nur gut ist. Arden empfindet für seinen Vater genauso.«
    Zwei Stunden später stand ich auf der Treppe vor demHaus. Mein Herz klopfte irgendwo in meiner Kehle, meine Tante stand neben mir, und beide warteten wir darauf, meine kleine Schwester zu sehen–ich zum erstenmal. Ich sah mich um, denn ich wußte, ich würde mich später an diesen Tag erinnern müssen. Die Sonne strahlte vom Himmel. Keine Wolke war zu sehen. Dunst hing über dem Wald und dämpfte das Gezwitscher der Vögel. Das ist die Feuchtigkeit vom Tau, sagte ich mir, sonst nichts. Eine

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