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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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dann kommen wir eben zu dir.«
    Unerschrocken wie immer schenkte er mir sein charmantes Lächeln, so daß seine Zähne im Sonnenlicht blitzten. »Über zwei Jahre lang hast du mich angefleht, ich sollte endlich deine kleine Schwester heimbringen. Nun, hier ist sie. Freust du dich denn nicht?«
    Papa mußte Sylvia helfen, Schritt für Schritt kam sie gequält vorwärts. Sie konnte ihre Füße nicht richtig heben. Sie schlurften auf dem Boden entlang, und Sylvia stolperte über jedes noch so kleine Hindernis. Und dabei taumelte ihr Kopf von rechts nach links; dann fiel er nach vorn; dann ruckte er nach hinten, als wollte sie den Himmel anstarren–wieder vor, der Boden zog ihre Aufmerksamkeit an–wenn man diesen leeren Blick als Aufmerksamkeit bezeichnen konnte.
    Sylvias Knochen schienen aus Gummi. Ehe sie noch fünf kleine Schritte gemacht hatte, waren ihre neuen, weißen Schuhe abgestoßen, war sie dreimal auf die Knie gefallen und von Papa aufgehoben worden. Papa zerrte sie die Treppe hinauf, indem er sie einfach an einem zarten Ärmchen packte und hochhob. So, wie sie näher kamen, wich ich zurück, ohne es zu merken. Noch immer kam Sylvia näher und näher, so daß ich Einzelheiten erkennen konnte. Ihre Lippen lagen nie aufeinander, sondern standen offen, und Speichel tropfte aus ihrem Mund; ihre Augen blickten leer, fixierten niemals irgend etwas.
    Ich zitterte, mir war übel. Papa, es war alles nur seine Schuld! Er war verantwortlich für Sylvias Zustand! All diese Streitereien, die unzähligen Male, wo er seinen Gürtel als Peitsche benutzt hatte. Ich schluchzte um Mammi, die auch das Ihre dazu getan hatte, als sie heißen Tee mit Bourbon getrunken hatte, obwohl Papa es ihr verboten hatte.
    Und mit jeder Sekunde kam das Ergebnis ihres Versagens näher, dieses reizende kleine Mädchen, dasvöllig schwachsinnig aussah.
    Ich wich zurück, bis ich die Hauswand hinter mir spürte. Unaufhörlich, rücksichtslos folgte mir Papa, zerrte meine Schwester mit. Dann bückte er sich, um sie aufzuheben, und mit einem Arm hielt er sie so, daß sie auf Augenhöhe mit mir war.
    »Schau her, Audrina, das ist Sylvia. Schau sie dir an. Dreh nicht den Kopf beiseite. Mach die Augen nicht zu. Sieh dir an, wie Sylvia sabbert, daß sie ihre Augen nicht auf einen Punkt richten kann, ja, nicht einmal ihre Füße kann sie anständig bewegen. Sie muß mehr als ein dutzendmal nach einem Gegenstand greifen, ehe sie ihn wirklich erwischt. Sie versucht, Essen in ihren Mund zu schieben, verfehlt ihn, aber schließlich findet sie doch noch eine Möglichkeit zu essen. Sie ist wie ein Tier, ein wildes Wesen aber ist sie nicht schön, charmant und auch schrecklich? Jetzt, wo du sie siehst, verstehst du vielleicht, warum ich sie so lange nicht herbringen wollte. Ich habe dir die Freiheit gegeben, und du hast mir nicht ein einziges Mal dafür gedankt. Nicht ein einziges Mal.«
    »Sylvia ist eine Irre…eine Irre…eine Irre…«, sang Vera leise im Hintergrund. »Jetzt hat Audrina eine Blöde…eine Blöde…eine Blöde…«
    »Vera, geh sofort ins Haus und bleib da!« brüllte Papa.
    Aus irgendeinem Grund erbleichte Vera. Sie ging näher zu Papa, der Sylvia noch immer im Arm hielt. »Dir ist diese Idiotin immer noch lieber als ich, nicht wahr?« schrie Vera und funkelte ihn und auch Sylvia wütend an. Irgend etwas quälte sie, verzerrte ihren Mund und ließ sie alt und häßlich aussehen. »Es wird noch die Zeit kommen, da wünschst du dir mich mehr als alles andere auf der Welt–aber ich werde dir eher ins Gesicht spucken, als daß ich dir helfe, wenn du es brauchst!«
    »Damit sagst du mir nichts, was ich nicht schon wüßte«, erklärte Papa kalt. »Du bist wie deine Mutter–großzügig mit deinem Haß und deiner Bitterkeit, aber geizig mit deiner Liebe. Ich brauche deine Hilfe nicht, Vera. Weder jetzt noch in Zukunft–ich habe Audrina.«
    »Du hast nichts, wenn du Audrina hast!« kreischte Vera und schlug nach ihm. »Sie haßt dich auch, bloß weiß sie es noch nicht!«
    Mit einer Hand hielt Papa immer noch Sylvia, während er mit der anderen Hand ausholte und Vera eine so kräftige Ohrfeige versetzte, daß sie zu Boden fiel. Zusammengekrümmt blieb sie dort liegen und schrie wie wild. Sylvia fing laut zu heulen an.
    »Verdammt sollst du sein, weil du sie geschlagen hast!« rief meine Tante. »Damián, das Mädchen möchte doch nichts weiter als ein bißchen Zärtlichkeit von dir. Du hast ihr nie etwas anderes entgegengebracht als

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