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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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nach Eriwan?», fragte Anna. Samvel nickte. «Gibt noch kleinere Straße auf andere Seite von Dorf, aber die führt nur nach nächstes Dorf.»
    «Halten Sie an», sagte Anna. «Ich möchte aussteigen.» Samvel bog von der Hauptstraße ab und hielt keine fünfzig Meter vor dem Dorfplatz. Von diesem Parkplatz aus würde Anna jeden Wagen sehen können, der von Eriwan ins Dorf kam.
    Sie schlang sich ein schlichtes Tuch um den Kopf und stieg aus dem Wagen. Samvel stieg ebenfalls aus. Anna schaute in beiden Richtungen die Straße entlang. Hinter ihnen sah man nur Staubwolken; offenbar war ihnen niemand in dieses gottverlassene Kaff mitten im Kaukasus gefolgt. Sie sah zum Dorfplatz hinüber, wo neben einem Trinkwasserbrunnen auch einekleine Leninbüste stand, und zu den Straßen dahinter. Nirgends sah man Milizen oder Soldaten oder den KGB. Alles wirkte ganz ruhig und normal – so lähmend normal, wie es nur ein Grenzort in einer völlig abgelegenen Gegend sein kann. Auch von Aram war weit und breit nichts zu sehen. Merkwürdig war nur, dass sich so wenig Erwachsene auf der Straße zeigten. Aber vielleicht arbeiteten sie ja alle auf den Kolchosen.
    «Was wollen Sie denn sehen?», fragte Samvel. Er hielt diesen Abstecher nach Kiarki offensichtlich immer noch für eine dumme Idee. Was sollte man auch nur ein paar Minuten bei den Türken verschwenden, wo es doch ringsum so viele Armenier gab? Aber er gab sich redlich Mühe, kooperativ zu sein.
    «Ich möchte mich einfach ein bisschen umschauen», sagte Anna.
    Ihr vordringliches Problem war die Frage, wie sie es anstellen sollte, hier zu bleiben, genau an der Stelle, wo sie jetzt waren, bis Aram auftauchte. Sie hatte bereits eine Idee, die allerdings einiges schauspielerisches Talent erforderte, vor allem, wenn sie einen so theatralisch veranlagten Menschen wie Samvel überzeugen sollte. Aber den Versuch war es wert. Mit zögernden, behutsamen Schritten näherte sich Anna dem Brunnen und der Leninbüste und testete dabei die Belastbarkeit ihrer Knöchel. Dann inszenierte sie auf den steinernen Stufen, die zum Denkmal hinaufführten, ein möglichst dramatisches Stolpern, knickte mit dem linken Knöchel um, kam hart mit der Hüfte auf und fing sich dann seitlich mit der Schulter ab.
    Samvel war außer sich. Entsetzt kam er angerannt, begleitet von Schreckensrufen auf Armenisch und Englisch. Anna blieb am Boden liegen und hielt sich stöhnend den Knöchel. «Brauchen Sie Doktor?», rief Samvel. «Ich bringe Sie zu Doktor.»
    «Nein, ich glaube nicht, dass der Knöchel gebrochen ist», sagte Anna. «Es tut einfach nur wahnsinnig weh. Lassen Sie mich mal versuchen, ob ich auftreten kann.»
    Sie rappelte sich auf und klopfte den Staub aus den Kleidern. Samvel bot ihr erst den Arm und dann die Schulter als Halt an. Auf ihn gestützt humpelte sie ein Stück und stieß bei jedem Schritt ein «Autsch!» oder «Aah!» aus. Der Knöchel schmerzte tatsächlich ein wenig, doch das meiste hatte die Hüfte abbekommen. Sie schafften es bis zum Wagen, und Anna dosierte ihre Schmerzenslaute so, dass Samvel sie mitbekam, aber nicht die Dorfbewohner anlockten.
    «Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich einfach ein bisschen hier im Wagen sitzen bleiben», sagte sie. «Wenn mein Fuß sich etwas erholt hat, fahren wir nach Chor Virap.»
    «Im nächsten Dorf wir finden armenischen Doktor», sagte Samvel. «Bestimmt. Er kann helfen.»
    «Nein, ich möchte einfach ein Weilchen hier bleiben. Vielleicht könnten Sie mir eine Flasche Wasser oder so was besorgen? Ich bin durstig.»
    «Wird gemacht», sagte er. «Ich bin zurück in paar Minuten. Bleiben Sie im Wagen, ja? Nach Gesetz Sie dürfen gar nicht hier sein. In Armenien jeder bricht Gesetz, die ganze Zeit, also machen Sie sich keine Sorgen. Aber bleiben Sie hier.»
    Damit begab er sich auf die Suche nach einem Laden. Anna konzentrierte sich auf die Straße und die wenigen vorbeikommenden Autos. Aus Richtung Eriwan näherten sich ein paar Laster, außerdem ein gutes halbes Dutzend verschiedener Pkw. Dann schlich ein Pferdewagen vorbei, der von einem aserbaidschanischen Bauern und seinem Sohn gelenkt wurde, und hin und wieder kamen auch ein paar Fahrräder. Doch in keinem Fahrzeug sah Anna ein Gesicht, das auch nur entfernt an AramAntoyan erinnerte. In einer Seitenstraße glaubte sie einen großen Mann mit grauem Mantel zu sehen, der sie aus dem Schatten eines Hauses beobachtete. Doch als sie sich umdrehte, um ihn besser sehen zu können, war er

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