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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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verfügte sie über eine bessere sanitäre Ausstattung als die Wohnungen der meisten Sowjetbürger, und das Essen, das Anna bekam, war sehr viel besser als das der anderen Gefangenen. Die Verhöre verliefen korrekt und zivilisiert – es war nicht der Stil des KGB, amerikanische Gefangene brutal zu behandeln. Jeden Tag kamen Beamte in Annas Zelle und sprachen mit ihr, manchmal für mehrere Stunden, manchmal nur für ein paar Minuten. Die Fakten des Falles schienen sie dabei nur am Rande zu interessieren. Viel häufiger stellten sie ihr seltsame Fragen über gewisse Details in ihrem Lebenslauf.
    Es waren intelligente Fragen, mit denen man ihr bestimmte Informationen zu entlocken und sie in Widersprüche zu verwickeln versuchte. Mit wem hatte Anna an der Universität studiert? Warum hatte sie Harvard vor der Beendigung ihrer Dissertation verlassen? Was hatte ihr Vater im auswärtigen Dienst gemacht? War ihr bekannt, dass er zuvor für die CIA gearbeitet hatte? Was hatte sie in dem Jahr zwischen dem Abbruch ihrer Dissertation und dem Beginn ihres Jobs bei der Investmentbank in London getan? Wer waren die Kunden von Halycon, und was hatte Anna für sie gemacht? Warum war sie während ihres ersten Jahrs bei der Bank so oft im Ausland gewesen? Anna hatte auf all diese Fragen befriedigende Antworten parat, von denen die meisten durch ausgeklügelte Arrangements, die sie zu Hause getroffen hatte, bestätigt wurden. Aber je öfter sie diese Antworten wiederholte, desto lächerlicher kamen sie ihr vor.
    Im Augenblick ihrer Verhaftung hatte Anna beschlossen, alles zuzugeben, was man ihr beweisen, und alles abzustreiten, was man ihr nicht beweisen konnte. Sie hatte sich in Bezug auf Aram eine plausible Erklärung für ihre Beziehung zueinander zurechtgelegt, und jetzt wiederholte sie sie wie ein persönliches Mantra immer und immer wieder. Sie hatte ihn in Paris auf einer Geschäftsreise für ihre Bank kennengelernt. Ja, sie hatte gewusst, dass er ein Dissident war, unter anderem deshalb hätte sie ihn ja so attraktiv gefunden. Ja, sie sei nach Armenien geflogen, um ihn zu sehen. Nein, sie hatte ihn nicht von ihrem Kommen informiert, weil sie vorgehabt hatte, ihn zu überraschen. Und ja, sie war in ihn verliebt gewesen.
    Natürlich gab sie zu, die Nachricht geschrieben zu haben, die man in Antoyans Wohnung gefunden hatte. Das konnte sie auch schwerlich abstreiten, zumal sie dafür ja einen ihrer eigenen Reiseschecks verwendet hatte. Die Beamten kamen immer wiederauf eine Formulierung in der Nachricht zurück: «Die Person, die Du morgen treffen wolltest, hat leider eine Erkältung bekommen». Was bedeutete das? Seit ihrer Festnahme überlegte sich Anna, wie sie das erklären könnte, und als sie sich schließlich für eine Antwort entschieden hatte, wiederholte sie sie gebetsmühlenartig. Die «Person», von der sie in der Nachricht geschrieben habe, sei in Wirklichkeit sie selbst gewesen. Sie hätte sich auf dem Flug nach Moskau eine Erkältung zugezogen und habe das Aram mitteilen wollen, damit dieser nicht enttäuscht war. Es klang fadenscheinig, aber etwas Besseres war ihr nun mal nicht eingefallen.
    Am schwierigsten allerdings war, den Leuten vom KGB einen plausiblen Grund für ihre Reise nach Kiarki zu nennen. Sie entschied sich schließlich dafür, dass er ihr in Paris von der Schönheit des Ararat-Tals vorgeschwärmt habe. Sie müsse unbedingt einmal das Kloster von Khor Virap und die kleinen aserbaidschanischen Dörfer nahe der Grenze besuchen, habe er immer wieder gesagt. Er selber fahre öfter dorthin, um ein wenig auszuspannen, und als sie ihn in Eriwan nicht angetroffen habe, sei sie auf eigene Faust nach Süden gefahren in der Annahme, dass er vielleicht dort sein könnte. Nach ein paar Tagen der Befragung gab sie widerstrebend zu, dass auch die Eifersucht sie nach Kiarki getrieben habe. Als Aram am Abend nicht in seine Wohnung in Eriwan zurückgekehrt sei, habe sie vermutet, dass er bei einer anderen Frau sein könnte, und weil er so oft von Kiarki gesprochen habe, sei ihr die Idee gekommen, dass diese Frau vielleicht dort leben könnte. Der Beamte, der das Verhör führte, hörte sich diese Geschichte höflich bis zu Ende an, aber dann lachte er und sagte, dass sie völlig absurd sei.
    Nach ein paar Tagen durfte ein Anwalt von der amerikanischen Botschaft zu Anna, der danach in regelmäßigen Abständenbei ihr vorbeisah, ihr aber nur wenig Mut machen konnte. Bei seinen Besuchen wurde sie das Gefühl nicht los,

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