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Vorgesetzten in Moskau beschlossen hatten, was mit ihr zu geschehen habe.
Am nächsten Tag wurde sie nach Moskau geflogen und in einem KG B-Büro in Jasenevo am Stadtrand verhört. Als sie sich weigerte, auf Fragen zu antworten, wurde sie förmlich der Verletzung sowjetischer Grenzbestimmungen angeklagt. Das war ein ernstes Vergehen, für das jedem, der keine diplomatische Immunität genoss, eine langjährige Gefängnisstrafe drohte. Noch am Nachmittag informierte das sowjetische Außenministerium die amerikanische Botschaft darüber, dass man in Kiarki eine U S-Bürgerin namens Anna Barnes, Passnummer A2701332, verhaftet und nach Moskau gebracht habe, ohne allerdings die konkrete Anklage gegen sie öffentlich zu nennen. Beide Seiten bewahrten Stillschweigen über die Angelegenheit und versuchten jede für sich zu klären, was in Armenien wirklich passiert war.
Vier Tage nach Annas Verhaftung sprach ein KG B-Oberst , der eine inoffizielle Verbindung zum Chef der Moskauer CI A-Zentrale hatte, diesen bei einem diplomatischen Empfang an. Er sagte, dass der Fall Barnes, der von der Sowjetunion als sehr ernst eingestuft werde, sich für die USA noch als sehr peinlich erweisen könne. Wenn bis Abschluss der Untersuchung keine diplomatische Lösung gefunden sei, werde die Sowjetregierung den Vorgang mit Sicherheit öffentlich machen. Es klang so, als ob der Oberst damit eine Art Handel vorschlagen wollte – vielleicht einen Gefangenenaustausch –, aber die Amerikaner gingennicht darauf ein, weder an diesem Abend noch in der darauf folgenden Woche.
Die wenigen Menschen in Washington, die über den Barnes-Fall Bescheid wussten, schienen nur einen Wunsch zu haben: dass er sich von selbst in Luft auflöste. Trotz des offiziellen Schweigens auf amerikanischer Seite gab es einen regen Austausch von Mitteilungen zwischen Washington und der Moskauer Botschaft, in dem viel über den Fall diskutiert wurde. Die Sowjets, die einen Großteil von alledem unbemerkt abhörten, brauchten nicht lange, um die fehlenden Stücke des Puzzles zu vervollständigen.
Acht Tage nach dem Debakel in Kiarki gab das sowjetische Außenministerium schließlich eine kurze, öffentliche Verlautbarung heraus. Sie besagte, dass eine namentlich nicht genannte Amerikanerin in einer verbotenen Zone im Grenzgebiet der Sowjetrepublik Armenien aufgegriffen worden sei und nun nach sowjetischem Recht angeklagt werde. Das amerikanische Außenministerium protestierte umgehend. Auf der täglichen Pressekonferenz bezeichnete ein Sprecher die sowjetischen Vorwürfe als «völlig aus der Luft gegriffen», erklärte, dass die Amerikanerin eine Geschäftsfrau sei, die mit einem Touristenvisum die Sowjetunion bereist habe, und verlangte, dass die Sowjets sie sofort freiließen. Ein Artikel in der
New York Times
zitierte am nächsten Morgen nicht namentlich genannte «Regierungsvertreter», die erklärten, die Frau habe eine «enge, persönliche Beziehung» zu einem armenischen Dissidenten gehabt, den sie bei einer Geschäftsreise in Paris kennengelernt habe. Dieser habe sie gegen ihren Willen in das verbotene Grenzgebiet gelockt, in dem man sie schließlich verhaftet habe. Die Medien befassten sich gerade mal zwei Tage mit dem Fall, dann verloren sie das Interesse, weil niemand den Namen oder andere Einzelheitenüber die Frau herausgab, anhand derer man sie hätte identifizieren können.
Danach befanden sich alle in ihrer eigenen Sackgasse. Die Sowjets hatten – zumindest für den Augenblick – kein Interesse daran, irgendwelche Details über den für sie höchst bedenklichen Westkontakt eines Dissidenten mit nationalistischem Hintergrund herauszugeben, und die Amerikaner waren ihrerseits froh, wenn keine Einzelheiten über diesen für CIA und Weißes Haus gleichermaßen peinlichen Fall publik wurden – sie wollten um jeden Preis die Einberufung eines Untersuchungsausschusses im Kongress verhindern. Darüber hinaus plagten beide Seiten wahrlich andere Sorgen. Die Sowjetunion bereitete einen Einmarsch in Afghanistan vor und zog in der Nähe von Samarkand gerade größere Truppenverbände zusammen, während die Amerikaner ihrerseits Probleme mit einer Geiselnahme durch radikale Studenten in der U S-Botschaft von Teheran hatten. Vor diesem Hintergrund war eine einzelne Amerikanerin, die in einem Moskauer Gefängnis saß und auf ihren Prozess wartete, von untergeordneter Bedeutung.
Annas Zelle war klein, aber sauber und relativ komfortabel. Ihren Wärtern zufolge
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