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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Fall so ernst nehmen.»
    Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee, der inzwischen zu dampfen aufgehört hatte. Als er die Tasse abstellte, war er nicht mehr ganz so freundlich wie zuvor. Der gedankenverlorene Professor hatte sich verändert.
    «Ist Ihnen klar, Miss Barnes, dass wir Sie nicht nur als Spionin, sondern auch als Mitglied eines gegen die Sowjetunion gerichteten terroristischen Netzwerks sehen? Dass Sie sie Pläne dieses Netzwerks möglicherweise nicht im vollen Umfang gekannt haben, macht Ihre Schuld nicht geringer. Aus diesem Grund wollen viele meiner Kollegen als Warnung an Mr.   Stone und seine Freunde ein Exempel an Ihnen statuieren und dafür sorgen, dass Sie vor Gericht gestellt werden und die Maximalstrafe bekommen – und das bedeutet nach sowjetischem Recht, dass Sie hingerichtet werden.»
    Anna erschauderte ungewollt, und einen Augenblick lang befürchtete sie, in Tränen auszubrechen. Was sie verspürte, war kein Selbstmitleid, sondern eine tiefe, trockene Verzweiflung, gepaart mit einer unbändigen Wut auf Stone und Taylor, die nur von ihrer Abscheu über sich selbst gemildert wurde. Weil Sie so dumm war, hatte Aram Antoyan sterben müssen, das wurde ihr voller Entsetzen klar.
    «Bitte, glauben Sie mir, Miss Barnes», fuhr Viktor fort. «Sie können Ihr Leben nur retten, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten. Das ist Ihre einzige Chance. Nur dann sind wir bereit, die Anklage gegen Sie abzumildern oder vielleicht ganz fallenzulassen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.»
    «Lassen Sie mich in Ruhe», sagte Anna mit brüchiger Stimme.
    «Ich bewundere Ihre Loyalität und Selbstbeherrschtheit, aber beides ist hier fehl am Platz. Ihre Kollegen haben Sie verraten. Sie haben Sie manipuliert und dann fallengelassen. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich, wir werden durch Ihre Kooperation nicht allzu viel gewinnen, weil wir alle wichtigen Aspekte Ihres Falles ohnehin schon kennen. Trotzdem bieten wir Ihnen diese Gelegenheit.»
    «Lassen Sie mich in Ruhe», sagte Anna ein weiteres Mal. «Ich erzähle Ihnen gar nichts.»
    Und das tat sie auch nicht, nicht an diesem Tag und auch nicht in den Wochen, die folgten. Viktor kam noch ein paar Mal bei ihr vorbei und versuchte, sie mit immer neuen Enthüllungen über Stone, Hoffman und sogar Alan Taylor doch noch umzustimmen, und als das nichts half, verlegte er sich auf immer weniger verhohlene Drohungen. Bei jedem Besuch erinnerte er sie mehr an Stone, was ihren Widerstand noch zusätzlich verstärkte. Als auch Viktors Drohungen nicht den gewünschten Erfolg zeitigten, wurden die Sowjets unangenehm. Sie verlegten Anna in eine kleinere Zelle, die anstatt einer Toilette nur ein widerlich stinkendes Loch im Boden und anstatt einer Matratze nur ein hartes Holzbrett hatte. Sie ließen die ganze Nacht über das Licht brennen und weckten Anna, wenn sie trotzdem schlief, immer wieder auf, und einmal gaben sie ihr vierundzwanzig Stunden lang nichts zu essen und brachten ihr dann ein Stück verdorbenes Fleisch, in dem es vor Maden nur so wimmelte. Trotz all dieser Schikanen blieb Anna standhaft und arbeitete auch dann nicht mit den Sowjets zusammen, als ihr klar wurde, dass der Rest der Welt sie vergessen hatte. Längst waren die Trauer über Arams Tod und die Wut über Stones Verrat ebenso erloschen wie das Feuer, das einmal so heiß in ihr gebrannt hatte.
     
    46  Margaret Houghton brauchte nur ein paar Wochen, um herauszufinden, was mit Anna geschehen war. Eigentlich hätte sie es überhaupt nicht erfahren dürfen, aber Margaret war gut darin, solche Beschränkungen zu umgehen. Das war einer der Gründe für ihren Erfolg. Margaret arbeitete eher still und unauffällig und war immer da, wenn jemand ihre Hilfe brauchte. Dafür erzählten ihr die Leute alles Mögliche, auch streng gehütete Geheimnisse. In Annas Fall hatte sie sich aus einem halben Dutzend Hinweisen von verschiedenen Leuten zusammengereimt, wie Anna nach Armenien geflogen und dort verhaftet worden war. Wichtiger noch als diese Fakten war die Erkenntnis, dass die CIA keine Anstalten machte, Anna aus den Händen der Sowjets zu befreien. In ihrem Fall fanden die hohen Tiere aus dem siebten Stock und die alte Garde in seltener Einigkeit, dass es am besten wäre, nichts zu tun.
    Margaret musste erkennen, dass Anna außer ihr keine Unterstützer und Fürsprecher hatte. Gespräche mit Kollegen über ähnliche Fälle, in denen man Agenten alleingelassen hatte, bestätigten sie in ihrer Überzeugung, dass Anna nur

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