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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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weiter, habe sich die Frau des Generalkonsuls ausgiebig Notizen gemacht.
    Taylor gewann immer mehr den Eindruck, dass Silvana Kunajewa eine außergewöhnliche Frau sein musste. Und eines war besonders ungewöhnlich an ihr: Hin und wieder verschwand sie einfach. So hatten die türkischen Agenten in überfüllten Geschäften oder im Feierabendgedränge in der Innenstadt bereits wiederholt ihre Spur verloren. Dabei tat sie gar nichts Verdächtiges. Sie tat überhaupt nichts. Und trotzdem war sie plötzlich verschwunden.
     
    An einem Tag im Spätfrühling war dann mit einem Schlag alles vorbei. Ein russischer Arbeiter erschien in Kunajews Wohnhaus, verpackte den osmanischen Stuhl in eine große Holzkiste und nagelte sie so laut zu, dass dem abhörenden Agenten fast die Trommelfelle geplatzt wären. Dann wurde die Kiste ins Konsulat gebracht, wo sie mehrere Tage lang stehen blieb, bis ein Lastwagen sie zum Flughafen fuhr. Dort wurde sie in ein russisches Flugzeug verladen.
    Anfangs befürchtete Taylor das Schlimmste: Die Wanze war entdeckt worden, und nun würde der Stuhl zu genaueren Untersuchungen nach Moskau gebracht. Dann aber ergaben Erkundigungen am Flughafen, dass der Stuhl gar nicht nach Moskau, sondern nach Alma-Ata geflogen war, und zwar mit derselben Maschine wie Kunajew selbst. Diskrete Nachforschungen bei mehreren befreundeten Diplomaten ergaben, dass der sowjetische Generalkonsul einen Kurzurlaub in der Heimat machte. Beim indischen Konsul hatte er sogar damit geprahlt, dass er dort seinen Cousin zweiten Grades besuchen wolle, den Generalsekretär der Kommunistischen Partei von Kasachstan. Und damit war auch Taylor endlich klar, weshalb Kunajew den Stuhl wirklich gekauft hatte: als Bestechungsgeschenk, mit dem er sich bei einem politischen Gönner anbiedern wollte.
    Taylor schickte einen ausführlichen Bericht über diese Vorgänge an die Zentrale, die darüber alles andere als glücklich war. Die Abhöraktion in Alma-Ata fortzusetzen, war leider ein Ding der Unmöglichkeit. Der Strom von «Resultaten» aus Istanbul versiegte, und die Analysten und Theoretiker in Langley würden keine weiteren Protokolle über CKJACK erhalten, aus denen sie mehr oder weniger erhellende Schlüsse ziehen konnten. Das alles war höchst bedauerlich. Der Einzige, der sich daheim in der Zentrale über diese Entwicklung freute, war Edward Stone, der alle Berichte über CKJACK aufmerksam mitverfolgt hatte. Für ihn hatte damit ein weiteres kleines Teil seines großen Puzzles seinen Platz gefunden.

III
SDROTTEN
    London/​Istanbul
    Februar   – März 1979
    11  Anna Barnes traf am selben Tag in London ein, an dem Ayatollah Khomeini nach Teheran zurückkehrte. Bei der CIA herrschte allgemeine Panik. Alle großen europäischen Stützpunkte waren aufgerufen, nach Mitarbeitern zu suchen, die – auf welche Weise auch immer – helfen konnten, Kontakt zum neuen Regime herzustellen. Die Akten alter Agentenkandidaten, die schon vor Jahren als uninteressant oder unzuverlässig aussortiert worden waren, wurden plötzlich wieder aufgeschlagen. Man nahm sie alle noch einmal unter die Lupe: nationalistische Kurden mit irrem Blick, geldgierige iranische Journalisten, linksradikale Franzosen – nichts und niemand erschien der CIA in ihrer Notlage zu abwegig.
    Doch was interessierte das alles die junge, dunkelhaarige Amerikanerin, die gerade mit dem Pan-Am-Flug 106 aus Dulles gelandet war? Allem Anschein nach nicht das Geringste. Auf dem Flug hatte sie sich in den
Institutional Investor
vertieft, und nach der Ankunft in Heathrow kaufte sie sich als Erstes die neueste Ausgabe von
Euromoney
. Offensichtlich war sie in der Finanzbranche tätig. Eine junge, aufstrebende Karrierefrau, wie man sie neuerdings überall sah: Anwältinnen und Bankerinnen, die gerade in Oxford oder Yale oder an der École Nationale d’Administration ihren Abschluss gemacht hatten und nun in den Startlöchern standen, um sich ihren Platz an der großen globalen Futterkrippe zu erobern.
     
    Die Büroräume von Halcyon Ltd. befanden sich an einem unauffälligen kleinen Platz in der Nähe des Holborn Circus. Anna erschien dort an ihrem ersten Tag im Nadelstreifenkostüm und mit leichtem Make-up, ganz die erfolgreiche Geschäftsfrau. Den Vormittag verbrachte sie damit, bei einer gewissen Mrs.   Sanchez Formulare auszufüllen. Mrs.   Sanchez war die Chefsekretärin und der einzige Mensch, der vor elf Uhr schon im Büro war.
    «Das ist ein DOW, kein TOW, nicht wahr?»,

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