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immer wieder die Stimme eines türkischen Radiosprechers, der die Polizeileitparolen des Tages verlas. «Denkt immer daran: Es ist die Aufgabe der Polizei, die Rechte des Menschen zu schützen», verkündete er. Dann ertönte ein schneidger Polizeimarsch, gefolgt von der Mahnung: «Ihr sollt Polizisten sein, die die Menschen als Freunde betrachten können.»
«Ich liebe diesen Sender», sagte Taylor. «Man sollte diese Art Polizeifunk auch zu Hause einführen.»
Der Radiosprecher war jetzt beim Verlesen der neuesten terroristischen Anschläge angelangt, und seine Stimme hatte den unaufgeregten Ton eines Sportreporters, der die Fußballergebnisse bekannt gibt. «Eine Schießerei in Izmir; zwei Schießereien und ein Bombenattentat in Trabzon; vier Schießereien in Ankara.»
«Was ist eigentlich los mit diesem Land?», fragte Anna, während der Polizeisprecher seine Aufzählung fortsetzte. «Es geht ja völlig vor die Hunde.»
«Das Übliche», erwiderte Taylor. «Politisch gesehen gibt es kein Zentrum mehr, nur noch Extremisten. Und dadurch geht das ganze Land den Bach runter.»
«Eine Schießerei», fuhr der Radiosprecher fort, «und ein Bombenattentat in Konya. Sechs Schießereien und zwei Bombenattentate in Istanbul.» Taylor schaltete das Radio ab.
«Tun wir denn was dagegen?», fragte Anna.
«Wen meinen Sie mit ‹wir›? Die Jungs und Mädels von RTACTION?»
Anna nickte. RTACTION war eins der Kryptonyme, die die CIA für sich selbst gefunden hatte.
«Sie machen wohl Witze», sagte Taylor. «Das ist nun wirklich nicht unsere Spielwiese.»
Der Chevrolet holperte weiter. Alle paar Kilometer passierten sie eine Ansammlung von Betonhütten, zu denen jeweils eine verdreckte Terrasse und ein paar Hühner oder Schafe oder auch ein, zwei hinkebeinige Kühe gehörten. In diesen Siedlungen wimmelte es von dunkeläugigen Kindern, die die Nutztiere zahlenmäßig bei weitem übertrafen. Und zu jedem Haus gehörten standardmäßig zwei Erwachsene: eine übergewichtige Frau mit Kopftuch und ein hagerer Mann im abgetragenen Mantel, wie sie aus den ländlichen Gegenden der Türkei gar nicht mehr wegzudenken waren. Anna musterte die schwerfälligen, unförmigen Frauen. Das gehörte zu den unveränderlichen Grausamkeiten im Klassensystem eines Entwicklungslandes: Es ließ arme Frauen fett und reiche Frauen schlank werden.
«Wer hat denn da im Hintergrund so nett auf Türkisch gesäuselt, als ich Sie gestern Nacht angerufen habe?», fragte sie Taylor.
«Das geht Sie gar nichts an.»
«Ist wohl ein Reizthema, was?»
«Sie heißt Tina und arbeitet im Kasino des Etap Marmara am Blackjack-Tisch. Eigentlich heißt sie Tuna, aber irgendwann hatte sie die Nase voll von den ganzen blöden Witzchen und hat ihren Namen geändert.»
«Arbeitet sie auch in der Branche?»
«Nein. Ich sagte doch, sie arbeitet im Kasino.»
«Und wo liegt dann der Reiz?»
Taylor warf ihr grinsend einen Seitenblick zu. «Hemmungsloser Sex», sagte er.
Anna wirkte etwas überrumpelt.
«Sie ist sehr hübsch», fuhr Taylor fort, «wenn auch auf eine etwas billige Art. Und wie sie ihren Blackjack-Spielern immer wieder erklärt, hat sie die flinksten Hände der ganzen Türkei.»
«Okay, das reicht», sagte Anna. «Aber das meinte ich eigentlich gar nicht. Was ich meinte, war … Ist es nicht schwierig, locker zu bleiben, wenn das Gegenüber nicht weiß, was man in Wirklichkeit macht?»
«Nö», antwortete Taylor. Anna hielt den Blick auf die Schweine gerichtet, an denen sie gerade vorbeifuhren. «Im Übrigen», fuhr er fort, «habe ich viel von Tina gelernt. Über türkische Frauen.»
«Was denn zum Beispiel?»
«Wollen Sie das wirklich wissen? Tina nimmt kein Blatt vor den Mund.»
«Ich denke, das halte ich aus.»
«Sie hat mir viel darüber erzählt, was es heißt, als alleinstehende Frau in der Türkei zu leben.»
«Nun packen Sie schon aus.»
«Also gut. Zunächst einmal sind türkische Männer ganz verrückt nach Jungfrauen. Sie wollen unbedingt eine Jungfrau heiraten, alles andere kommt nicht in Frage. Und darum tun die jungen Frauen hier alles, um Jungfrau zu bleiben, bis sie etwa fünfundzwanzig sind. Bis dahin treiben sie alles Mögliche mit ihren Freunden, oral, anal, weiß der Teufel was, nur keinen Vaginalverkehr. Das heben sie sich für die Hochzeitsnacht auf. Und wenn sie sich einem Mann hingeben, der sie anschließend nicht heiratet, haben sie ein ganz gewaltiges Problem.»
«Das ist doch absurd, finden Sie
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