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nicht?»
«Ich habe dazu keine Meinung. In diesen Fragen beschränke ich mich aufs bloße Beobachten.»
«Und wenn sie über fünfundzwanzig sind?»
«In dem Alter, sagt Tina, hört die türkische Frau auf, sich über so etwas Gedanken zu machen. Sie geht vom Schlimmsten aus – dass sie nämlich sowieso nicht mehr heiraten wird – und fängt an, ihr eigenes Leben zu führen. Ein Mann, der bereit ist, eine alte Schachtel von über fünfundzwanzig zu heiraten, legt wahrscheinlich auch keinen Wert mehr darauf, dass sie noch Jungfrau ist.»
«Wie alt ist Tina?»
«Dreiundzwanzig.»
«Und wieso schläft sie dann mit Ihnen? Oder stehen Sie etwa auf Analsex?»
«Keineswegs», sagte Taylor. «Aber Tina hat eine revolutionäre medizinische Technik aufgetan, die das Leben hierzulande radikal verändern wird.»
«Was für eine Technik denn?», fragte Anna, obwohl sie gar nicht sicher war, dass sie es tatsächlich hören wollte.
«Künstliche Jungfernhäutchen. Die besseren Gynäkologen von Istanbul haben das bereits alle im Angebot. Laut Tina kostet der Standardeingriff sechzig Dollar. Zwei Tage vor der Hochzeit kostet es neunzig Dollar, und wenn man es, was Gott verhüten möge, am Hochzeitstag selbst braucht, muss man hundertfünfzig Dollar hinblättern. Das ist aber eher etwas für Saudis und Kuwaitis.»
«Brr!» Anna schüttelte sich, und sie schwiegen, während der Wagen holpernd und schlingernd die letzten paar Kilometer bis zum Polendorf zurücklegte. Schließlich erblickten sie die grünen Felder von Polonezköy, die wie ein Schönheitsfleck auf dem dunklen Antlitz Asiens wirkten.
Vor jedem der großen Häuser des Dorfes standen blonde, blauäugige Männer und baten die Touristen herein, um einen Happen zu essen und ein wenig auszuruhen. Taylor hielt vor einem Haus ganz oben auf einer Anhöhe. Der Besitzer war ein stämmiger Mann namens Thaddeus, der sie mit großem Hallo begrüßte und sofort hereinwinkte.
«Oben oder unten?», erkundigte er sich.
Taylor sah zu Anna hinüber, wie um ihr die Entscheidung zu überlassen, doch sie war inzwischen so aufrichtig entspannt, dass sie gar nicht auf ihn achtete und stattdessen das Plakat einer polnischen Fluggesellschaft betrachtete, das an der Wand hing. Und so sagte Taylor: «Zeigen Sie uns doch einfach die Zimmer.»
Thaddeus führte sie eine knarzende Treppe hinauf in einen langen Flur und öffnete die erste Tür links. Das Zimmer war klein. Am einen Ende stand ein schmales Bett, am anderen, gleich neben dem Fenster mit seinem Blick über die pseudo-polnische Landschaft, ein Tisch mit zwei Stühlen.
Anna betrat das Zimmer als Erste. Sie ging zum Fenster hinüber, dann zurück zum Bett. Auf dem niedrigen Metallgestell lagen eine kratzige Kordtagesdecke und ein unförmiges Kissen. Bettlaken gab es keine. Was für ein deprimierendes Zimmerchen, dachte Anna.
«Wir können etwas zu essen hochbringen», bemerkte Thaddeus taktvoll. «Oder wir lassen Sie einfach allein.»
Anna sah zu Taylor hinüber. Was ging hier eigentlich vor? War es möglich, dass dieser Mann, den sie erst seit ein paar Stunden kannte, tatsächlich darauf hoffte, hier auf diesem armseligen Bett mit ihr zu schlafen? Taylor sagte nichts. Er schaute zum Fenster hinaus und tat, als würde er gar nicht zuhören.
«Gehen wir lieber nach unten», sagte Anna schroff. «Ich glaube,das entspricht eher meinen Vorstellungen.» Taylor drehte sich wieder zu ihr um. Auf seinem Gesicht lag der verlegene Ausdruck eines unartigen Jungen.
Thaddeus führte sie wieder die knarzenden Stufen hinunter ins Speisezimmer, wo sechs Tische standen. Der Raum wirkte niedrig und zu klein für die vielen Möbel, und es war stickig und heiß darin.
«Wie wäre es draußen?» Anna deutete in den Garten hinaus, wo unter einer Weinlaube ein paar kleine Tische standen. «Können wir vielleicht draußen sitzen?»
«Ganz, wie Sie wünschen», sagte der türkische Pole. Er führte sie in den Garten, ließ sie allein und kam kurz darauf mit zwei gewaltigen Flaschen Bier zurück.
«Kommen Sie hier immer mit Ihren Frauen her?», fragte Anna.
«Manchmal», sagte Taylor. Er sah immer noch verlegen drein.
«Und gefällt ihnen das?»
«Manchen ja.»
«Versuchen Sie etwa, mich ins Bett zu kriegen?»
«Nicht unbedingt. Ich dachte nur, es würde Ihnen hier gefallen.»
Anna sah sich um. Die Luft war kühl, frisch und sauber, ganz anders als der Smog von Istanbul. Ein roter Hahn stolzierte durch den Garten und pickte nach
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