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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Krümeln.
    «Es gefällt mir auch», sagte sie. «Aber wissen Sie, ich bin nur auf der Durchreise.»
    Taylor nickte. «Wie Sie wollen», sagte er.
    Sie rauchten, tranken polnisches Bier und plauderten. Da die Sexfrage für den Augenblick nicht mehr aktuell war, schaltete auch Taylor einen Gang zurück. Seine Miene entspannte sich, er sprach langsamer und sanfter. Doch selbst bei diesem ruhigerenTaylor spürte man noch deutlich das Wispern seiner Rastlosigkeit, wie einen Windhauch im leeren Innenhof.
    «Wie gefällt Ihnen unsere Arbeit denn?», fragte er.
    «Bis gestern nicht schlecht.»
    «Dabei gehört es noch zu den guten Seiten, Leuten Whiskeyflaschen über den Schädel zu ziehen. Warten Sie mal ab, bis Sie die echten Schattenseiten kennenlernen.»
    «Was sind denn die echten Schattenseiten?»
    «Formulare ausfüllen, um zu erklären, warum die Flasche kaputtgegangen ist.»
    Anna lachte. «Jetzt mal im Ernst», sagte sie dann. «Was sind die Schattenseiten?»
    Taylor dachte eine Zeit lang nach. «Wollen Sie die Wahrheit hören?» Anna nickte. «Die größte Schattenseite ist das Gefühl, Zeit zu verschwenden.»
    «Wie oft geraten Sie denn auf diese Schattenseite?»
    «In letzter Zeit praktisch ständig.»
    «Aber so desillusioniert können Sie doch gar nicht sein. Dafür sind Sie noch zu jung.»
    «Oder nicht mehr jung genug. Zynismus ist das Vorrecht junger Männer.»
    «Und was wollen Sie dagegen tun?»
    «Keine Ahnung. Falls ich kein interessantes Aufgabengebiet im Innendienst finde, kündige ich vielleicht. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass die daheim ganz gewaltige Probleme haben, auch wenn ich beim besten Willen nicht weiß, warum. Manchmal hat man den Eindruck, sie hätten einfach alle zur Eunuchenschule geschickt.»
    Anna nickte. Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann sagte sie: «Nicht, dass das jetzt wichtig wäre   … Aber rein historisch gesehen gab es gar keine Eunuchenschule.»
    «Wovon reden Sie jetzt?»
    «Vom Osmanischen Reich. Die Palastschule diente nur zur Ausbildung der Janitscharen. Die Eunuchen blieben im Harem und bekamen von ihrem Oberaufseher, dem
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, beigebracht, was sie zu tun hatten. Für sie gab es keine Schule.»
    «Sind Sie etwa Eunuchologin?»
    «Ich habe Osmanistik studiert, bevor ich als NOC angefangen habe.»
    «Im Ernst?», fragte Taylor.
    «Im Ernst.»
    «Und welche Lebenskrise hat Sie dann zur CIA geführt? Zu viele überfällige Bibliotheksbücher?»
    Anna gab ihm ihre Standardantwort. «Es war keine Krise», sagte sie. «Mir war einfach langweilig. Das war der Hauptgrund.»
    Taylor musterte sie skeptisch. «Waren Sie verheiratet?», fragte er.
    «Nein», sagte Anna. «Aber so was Ähnliches.»
    «Zu ähnlich, was?»
    Anna nickte. «Er hieß Tom und lehrte Anglistik in Harvard. Er war sehr klug, sehr sanft, sehr liebevoll. Als ich ihn kennenlernte, dachte ich, ich hätte meinen Traummann gefunden.»
    «Aber das war er dann doch nicht?»
    «Doch, schon. Das ist ja das Seltsame. Er war tatsächlich mein Traummann. Wir mochten dieselbe Musik, hatten dieselben Lieblingsplätze auf Cape Cod, wir mochten dieselben Bücher, dieselben Eissorten. Und außerdem nahm er Frauen ernst.»
    «Ach herrje, ein Frauenversteher.»
    «Sie können mich mal. Machen Sie sich ruhig darüber lustig, aber solche Sachen sind nun mal wichtig. Vor Tom war ich mitso vielen egozentrischen Grünschnäbeln zusammen   … ich konnte mein Glück gar nicht fassen, dass sich ein so intelligenter Mann für mich interessiert.»
    «Hört sich eigentlich an wie der siebte Himmel. Was ist denn schiefgegangen?»
    «Tom hatte einen fatalen Nachteil», sagte Anna. «Er war ein Intellektueller, ein Mann, der das Abstrakte liebt. Und irgendwann wurde mir klar, dass er seine abstrakte Vorstellung von mir lieber hatte als die eigentliche Person.»
    «Schwerer Fehler», warf Taylor ein.
    «Außerdem hat sich gezeigt, dass auch er egoistisch war. Bei aller Aufmerksamkeit war er mindestens so sehr mit sich selbst beschäftigt wie die anderen auch. Er hörte sich an, was ich zu sagen hatte, und anschließend sagte er, was er eigentlich sagen wollte. Ich war im Grunde nur Staffage. Er mochte mich, weil ich klug genug war, um seine Ausführungen zu verstehen. Aber mir wurde das irgendwann langweilig. Ich wollte etwas anderes.»
    «Und was?»
    «Einen Mann, mit dem es funkt. Einen Mann, der in einer Bar auf mich zukommt, mir in die Augen sieht und sagt: ‹Hey, schöne Frau, machen wir uns eine gute

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