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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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müssen. Aber sie war einfach nur todmüde. Sie duschte, kroch ins Bett und schlief tief und fest bis zum nächsten Morgen.
     
    16  Als Taylor endlich ins Konsulat kam, wartete Anna bereits seit einer Stunde. Er machte einen leicht benebelten Eindruck, als hätte er in der Nacht zuvor zu viel getrunken und zu wenig geschlafen. Anna saß lesend im Empfangszimmer im ersten Stock des Palazzo Corpi, und Taylor wäre fast an ihr vorbeigelaufen. Sie entsprach absolut nicht dem Bild, das er sich im Geist von «Vera» gemacht hatte. Die Stimme am Telefon hatte streng, entschlossen und beherrscht geklungen. Die dunkelhaarige Frau mit den grünen Augen dort auf dem Sofa wirkte viel zu jung und zu verletzlich.
    «Wo haben Sie denn gesteckt?», fragte Anna, als die Empfangsdame Taylor schließlich auf sie aufmerksam machte.
    «Es war eine harte Nacht», erwiderte Taylor.
    «Mit Sicherheit nicht so hart wie meine.»
    «Dann kommen Sie mal mit und erzählen Sie mir davon.» Taylor fasste sie am Arm und führte sie über den Hof in sein Büro im Nebengebäude. Dort stapelten sich Kartons mit den Visumsanträgen iranischer Staatsbürger, die Taylor noch zu sichten hatte, in der Hoffnung, darunter auch ein paar Leute zu finden, die dem Geheimdienst nützlich sein könnten. Taylor räumte einen Karton vom Sofa, bedeutete Anna, sich zu setzen, und schloss dann die Tür.
    «Tut mir leid wegen gestern», sagte er. «Ich bin mir sicher, dass man mich von Ihrer Ankunft benachrichtigt hat, aber ich weiß einfach nicht mehr, was genau in dem Memorandum stand. Wer sind Sie überhaupt?»
    «Amy L.   Gunderson», sagte Anna. «Klingelt da was bei Ihnen?»
    «Nein», sagte Taylor. «Aber Decknamen kann ich mir grundsätzlich nicht merken.»
    «Ich arbeite als NOC», fuhr Anna fort. «Normalerweise bin ich in London stationiert.»
    «Und wie heißen Sie richtig?»
    «Darf ich Ihnen das sagen?»
    «Klar», sagte Taylor. «Ist doch eh alles völlig egal.»
    «Anna Barnes», sagte sie. «Ich bin erst kurz dabei.»
    «Also, Anna Barnes, was genau ist passiert?»
    «Ich hatte gestern Nacht eine schlimme Begegnung mit einem Iraner, den wir als Agenten aufbauen wollten.» Ihre Stimme klang ruhig, höchstens ein wenig erschöpft. Von der Energie der letzten Nacht war nichts mehr übrig geblieben.
    «Wie heißt der Typ?»
    «Ali Ascari. Ich habe mich gestern spätabends mit ihm in seinem Zimmer im Hilton getroffen. Er hatte zu viel getrunken und ist ausfallend geworden. Ich musste mich mit einer Whiskeyflasche zur Wehr setzen. Und ich fürchte, ich habe ihm Verletzungen zugefügt.»
    «Was hat er genau getan?»
    «Er hat versucht, mich anzugreifen.» Anna vermied das Wort «vergewaltigen» bewusst. Sie sprach ruhig, fast schon nüchtern. «Er hatte ein Messer. Mir blieb keine andere Wahl.»
    Taylor grinste.
    «Was ist denn daran komisch?»
    «Sie klingen so defensiv», sagte er. «Dabei hat der Mistkerl es doch offensichtlich darauf angelegt.»
    «Stimmt», erwiderte Anna. «Aber es ist trotzdem ein ganz schöner Schlamassel, finden Sie nicht? Ich habe ziemlich fest zugeschlagen, vor allem beim zweiten Mal. Wenn ich Pech habe, ist er sogar tot. Weiß der Himmel, was die in der Zentrale dazu sagen. Vermutlich finden sie das alles äußerst unprofessionell.»
    «Scheiß auf die Zentrale», sagte Taylor.
    Anna musste lächeln. «Sie haben leicht reden. Ich bin immerhin noch neu.»
    «Na, kommen Sie schon. Sagen Sie’s.»
    «Scheiß auf die Zentrale.»
    «Na also, geht doch. Ich kann mir übrigens kaum vorstellen, dass Ihr Mann tot ist. Nicht, dass ich an Ihren Fähigkeiten beim Einsatz von Whiskeyflaschen zweifele, aber man muss schon verdammt fest zuschlagen, um jemanden damit umzubringen.»
    «Ich habe auch noch nach ihm getreten. Zwei Mal.»
    Taylor kniff die Augen zusammen. Diese Amy L.   Gunderson steckte offenbar voller Überraschungen. «Meinen Glückwunsch», sagte er. «Trotzdem glaube ich nicht, dass Sie ihn getötet haben.»
    «Das ist vermutlich auch besser so.»
    «Nicht enttäuscht sein. Vielleicht kriegen Sie ja nochmal die Gelegenheit.»
    «Ganz bestimmt nicht.» Anna erschauerte. «Für mich war es das mit dem Kerl. Ich hätte mich überhaupt nicht wieder mit ihm treffen sollen. Dafür bin ich absolut die Falsche. Zwischen uns stimmt die Chemie einfach nicht.»
    «Sagen Sie bloß», kommentierte Taylor, und Anna musste wider Willen lachen. «Scherz beiseite», fuhr Taylor fort. «Ich schicke jetzt erst mal jemanden ins Hilton, um ein

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