Das Netzwerk
dann wirklich sauber sein konnte, wenn man sie gar nicht erst durchführte.
Noch viel unverständlicher als die Bemühungen des Kongresses war für Stone die Tatsache, dass die CIA dieses absurde Spiel auch noch mitmachte. Die Kongressabgeordneten mussten Kontrollausschüsse einberufen und über die Erhaltung amerikanischer Grundwerte herumschwadronieren, das war schließlich ihr Job. Aber warum ließ sich die CIA auf diesen Unsinn ein, der eigentlich in die Sonntagsreden gehörte und nirgendwo sonst? Hatten die oben im siebten Stock denn komplett den Verstand verloren? Jedes Mal wenn Stone sah, wie Charles Hinkle eine Gruppe von Abgeordneten durch die Zentrale führte, krampfte sich ihm der Magen zusammen. Die Barbaren belagerten die Stadt, und die eigene Führung sperrte ihnen die Tore auf.
Mitte der 1970er Jahre, als der Ansturm immer stärker wurde, war es für Stone höchste Zeit unterzutauchen. Die große Säuberungsaktion im Geheimdienst war damals im vollen Gange, und alle paar Monate wurden Dutzende von vermeintlich unproduktiven Innendienstlern entlassen. Außerdem waren sich die Betriebsprüfer und Pfennigfuchser einig, dass die Operative Abteilung zu viele Untergliederungen hatte, und in gewisser Hinsicht hatten sie damit sogar recht. Im Laufe dreier Jahrzehnte hatte sich der Geheimdienst, wie jedes gutgefütterte Tier, eineschützende Fettschicht aufgebaut und zu viele alternde Spione aus guter Familie auf der Gehaltsliste stehen, deren einzige Beschäftigung es war, sich hirnrissige Operationen auszudenken. Aber eigentlich ging es bei der großen Säuberungsaktion gar nicht darum, den Dienst zu verschlanken. Es ging um die Entmachtung dieses geheimen Arms der Regierung, der dreißig Jahre lang ungehindert vor sich hin gewerkelt und sich dabei zu viele Fehler geleistet und zu viele Feinde gemacht hatte. Nun war die CIA auf Gedeih und Verderb den Leuten ausgeliefert, denen sie all die Jahre lang auf der Nase herumgetanzt war: Kongressabgeordneten, Journalisten und Bürokraten, die alle noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen hatten.
Edward Stone, der über ein Jahrzehnt als graue Eminenz der Altherrenlobby die Nahost-Abteilung geleitet hatte, hätte für sie alle eine hervorragende Zielscheibe abgeben. Deshalb beschloss er, sich aus der Schusslinie zu bringen und eine Weile auf Tauchstation zu gehen, bis die Leute wieder Vernunft annahmen.
Von einem Tag auf den anderen verschwand Stone aus seinem geräumigen Büro mit den Landkarten an der Wand und dem schweren Safe in der Ecke und verzog sich an einen Ort, von dem niemand so genau wusste, wo er war. Als Hinkle mit zunehmendem Eifer unter den alten Knaben aufräumte, ging eine Weile das Gerücht um, auch Stone sei ihm zum Opfer gefallen. Aber das stimmte nicht. Manche seiner Freunde glaubten, dass Stone sich wie ein waidwunder, alter Platzhirsch tief in den bürokratischen Wald zurückgezogen habe, um sein berufliches Leben in Würde zu beschließen, aber auch das traf nicht zu. Stone war vielmehr in den Untergrund gegangen war, was bei einem ohnehin meist im Untergrund arbeitenden Geheimdienst wie der CIA einer doppelten Verneinung gleichkam.
Als Taylor Stones Nachricht erhielt, fürchtete er schon, den größten Fehler seines Berufslebens gemacht zu haben. Er konnte sich nicht erklären, wie seine Bitte um Informationen über Rawls von Stone überhaupt registriert werden konnte oder wieso sich Stone dafür interessierte. Vielleicht hatte er, ohne es zu wollen, die Aufmerksamkeit des falschen Mannes auf sich gelenkt. Als Erstes stand er nun vor dem Problem, einen sicheren Treffpunkt finden zu müssen. Das Konsulat verfügte zwar über ein sicheres Besprechungszimmer, die berüchtigte «Taucherglocke», aber das war stickig und eng und hatte überhaupt keine Atmosphäre. In die Taucherglocke würde Taylor nur im äußersten Notfall gehen. Aber wohin sonst? Restaurants gab es natürlich zuhauf, aber dort konnte man nie sicher sein, dass man nicht doch abgehört wurde. Nein, ein Restaurant ging auf keinen Fall.
Ein Boot, beschloss Taylor. Auf dem Wasser war man sicher vor Wanzen, und außerdem entsprach eine Bootsfahrt auf dem Bosporus seinem Sinn für Dramatik. Wenn seine Karriere schon ihr Ende finden sollte, dann wenigstens mit Stil. Aber welches Boot? Der Botschafter hatte zwar eine prachtvolle Jacht mit dem klingenden Namen
Hiawatha
im Hafen von Istanbul liegen, aber vor lauter Angst, der Kongress könne von ihrer Existenz erfahren und sie ihm
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