Das Netzwerk

Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius

Vom Netzwerk:

uns?»
    «Nein. Natürlich nicht. Solche Sachen machen wir schon seit Jahren nicht mehr.»
    «Herrgott nochmal!»
    Wieder lachte Stone leise in sich hinein. Er fand das alles sehr lustig.
    «Wenn Rawls nicht zu uns gehört, und nicht zu den Kanadiern oder den Briten, für wen arbeitet er dann?»
    «Für die Russen, nehme ich an.»
    «Sie machen Witze.»
    «Aber nein! Ich wette jeden Betrag, dass die Sowjets hier eine Operation unter falscher Flagge laufen haben. Und diese Flagge ist die unsere, das amerikanische Sternenbanner, mit einem kleinen Ahornblatt als Tarnung.»
    «Aber warum tun sie das, zum Teufel?»
    «Ich habe es Ihnen bereits erklärt, aber Sie haben nicht zugehört. Oder vielmehr, Sie haben nicht verstanden, was ich gesagt habe.»
    «Sagen Sie es noch einmal. Ich stehe gerade etwas auf dem Schlauch.»
    «Die Russen machen es aus denselben Gründen, aus denen auch wir es tun würden, nur mit umgekehrtem Interesse. Sie möchten Kontakte in den antisowjetischen Untergrund aufbauen,um auf diese Weise zu erfahren, wie gefährlich er wirklich ist. Und außerdem wollen sie ihn natürlich kontrollieren und manipulieren. In dieser Hinsicht waren sie ja immer schon ziemlich paranoid.»
    «Aber wieso unter falscher Flagge?»
    «Wie könnten die Sowjets den antisowjetischen Untergrund denn sonst infiltrieren? Bestimmt nicht, indem sie ausposaunen, dass sie vom KGB sind. Wenn die Israelis einen Spion in der syrischen Armee rekrutieren wollen, gibt der Anwerber schließlich auch vor, ein russischer Armeeoffizier zu sein. Der Syrer wird ihm sein Herz ausschütten und sich dabei vielleicht noch patriotisch vorkommen. In diesem Fall ist es ähnlich.»
    Taylor schüttelte verwirrt den Kopf. «Dann ist dieser Rawls ein Russe?»
    «Vermutlich, ja», sagte Stone. «Und zwar ein sehr gut ausgebildeter. Überzeugend einen Nordamerikaner darzustellen, wenn man selber keiner ist, gehört zu den schwierigsten Dingen überhaupt. Selbst wenn es einem gelingt, sich den richtigen Akzent anzutrainieren, sind da immer noch die unzähligen kleinen Details, die alle Welt in- und auswendig kennt, weil sie ja mit unseren Filmen und Fernsehshows groß geworden ist. Jeder weiß, wie wir reden, wie wir uns eine Zigarette anzünden, wie wir lachen. Ihrem Bericht nach zu schließen kommt Ihr Mr. Rawls ziemlich glaubwürdig rüber.»
    «Wie eine Eins.»
    «Ich bin mir sicher, wenn Sie ihn ein paar Minuten länger beobachtet hätten – oder etwas weniger getrunken –, dann hätten Sie und Ihr Freund bestimmt ein Wort oder eine Geste bemerkt, die nicht ganz stimmig war, und Verdacht geschöpft. Rawls hatte sehr viel Glück. Normalerweise muss er ja nur Usbeken und Tataren überzeugen.»
    «Aber warum machen sich die Russen die ganze Mühe?»
    «Weil sie Kontrollfreaks sind, und Kontrollfreaks suchen ständig und überall nach Feinden. In diesem Fall haben die Russen auch tatsächlich einen Grund, nervös zu sein. Nationale Aufstände in ihren Minderheitenrepubliken stellen aktuell die einzig wirkliche Bedrohung für die Stabilität der Sowjetunion dar.»
    «Aber die Russen haben doch keine Angst vor einem Haufen durchgeknallter Usbeken.»
    «Vor den Usbeken allein vielleicht nicht. Aber vor denen, die möglicherweise hinter ihnen stehen.»
    «Und wer sollte das sein?»
    «Die Vereinigten Staaten.»
    «Warum sollten die Russen das denken?»
    «Oh, es hat im Laufe des vergangenen Jahres ein paar kleine Hinweise aus Washington gegeben. Ein paar Vorzeichen. Gerade genug, um einen wachsamen KG B-Mann zu beunruhigen.»
    «Und was waren das für Hinweise?»
    «Das darf ich Ihnen nicht sagen», erwiderte Stone mit einem liebenswürdigen Lächeln. «Zumindest im Moment noch nicht. Vielleicht ein andermal.»
    Taylor sah Stone mit zunehmender Verwunderung an. Der Mann hatte offenbar lauter Joker in der Hand.
    «Die Sowjets sind vorsichtige Leute», fuhr Stone fort. «Wenn sie glauben, ein Problem zu haben, suchen sie nach einer Möglichkeit, es in den Griff zu bekommen und aus der Welt zu schaffen. Und dieses Spielchen mit den Emigranten spielen sie schon seit den 1920er Jahren. Haben Sie schon einmal vom Trust gehört?»
    «Natürlich», erwiderte Taylor. Am liebsten hätte er gesagt: bis zum Erbrechen. In der ganzen CIA gab es niemanden, dernicht schon von dieser Operation der Sowjets gehört hatte. Der Leiter der Forschungsabteilung für Gegenspionage hatte sich sogar dreißig Jahre lang fast ausschließlich damit beschäftigt. Mit Trust hatten