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wegnehmen, stellte er sie niemandem zur Verfügung. Weil auch diese Möglichkeit also nicht in Frage kam, stattete Taylor dem Marineoffizier, der offiziell zum Türkisch-Amerikanischen Logistikkommando, TUSLOG, gehörte, in Wirklichkeit aber die Aufgabe hatte, sich um die Jacht des Botschafters zu kümmern, einen Besuch ab und fragte ihn um Rat.
«Nehmen Sie doch Ali Kaptans Boot», riet ihm der Offizier.
«Wer zum Teufel ist Ali Kaptan?»
«Wenn der Botschafter mal hier in Istanbul ist, was allerdingsnicht allzu oft vorkommt, fungiert Ali als Kapitän der
Hiawatha
. Er besitzt aber auch ein eigenes kleines Boot, die
Teodora
. Vielleicht macht er eine Tour mit Ihnen.»
«Kann man ihm denn vertrauen?»
«Mehr als das. Der Mann versteht kein Englisch.»
«Klingt ganz so, als wäre er genau der Richtige für mich», sagte Taylor, und bereits wenige Stunden später hatte er die
Teodora
mitsamt ihrem Kapitän gechartert.
Es war Spätnachmittag, als Taylor Stone am Flughafen abholte. Er kam mit einem regulären Linienflug aus Frankfurt, und er trug seinen Koffer selbst. Beides überraschte Taylor. Normalerweise reisten altgediente CI A-Beamte seiner Kategorie wie kleine Könige. Sie flogen in Privatjets und hatten stets eine ganze Schar von dienstbaren Geistern um sich, die ihr Gepäck trugen und ihnen die Türen öffneten. Die Bürochefs vor Ort rissen sich die Beine aus, um ihren fürstlichen Gästen den Aufenthalt in ihrer Stadt so angenehm wie möglich zu gestalten. Einen von ihnen ins richtige Fischrestaurant in Piräus, das beste Dim-Sum-Lokal in Hongkong oder die schärfte Stripshow in Bangkok zu führen, hatte schon so mancher Karriere den entscheidenden Schub gegeben. Als Taylor Stone in seinem dreiteiligen Winteranzug aus grauem Wolltuch und seinem braunen Homburg sah, erkannte er sofort, dass er sich die Stripshows bei ihm schenken konnte. Im Gesicht des alten Mannes suchte er nach einem Hinweis auf das, was ihn nach Istanbul führte, aber es war nichts weiter als eine freundliche, aber undurchdringliche Maske.
«Sie sind also Taylor», war alles, was Stone sagte. Taylor nahm ihm seinen Koffer ab und führte ihn zu einer wartenden Limousine, die sie direkt zu einem Anlegesteg in der Nähe des Dolmabahce-Palasts brachte. Die vorgeschlagene Bootsfahrtauf dem Bosporus schien Stone zu gefallen. Er käme gerade aus dem bitterkalten Berlin, erklärte er, da könne er etwas Wärme gut vertragen.
Für Istanbuler Verhältnisse war es ein angenehmer Vorfrühlingsabend. Die Sonne hatte den Dunst größtenteils aufgelöst und tauchte, als sie unterging, den Himmel in ein rötliches Glühen. Den Bosporus aufwärts, linker Hand vom Kai, lag der gewaltige, nach westlichen Standards entworfene Dolmabahce-Palast aus weißem Marmor, dessen Bau Mitte des neunzehnten Jahrhunderts das Osmanische Reich beinahe in den finanziellen Ruin getrieben hätte. Auch als der Palast fertig war, mussten allein für die in ihm beschäftigten fünftausend Bediensteten jedes Jahr zwei Millionen englische Pfund ausgegeben werden. Angeblich hatte Sultan Abdülaziz seinen Dienern Klaviere auf den Rücken schnallen lassen, damit er beim Spaziergang in den Gärten nicht auf Musik verzichten musste, aber das war vermutlich nur eine Legende. Auf jeden Fall aber war der Dolmabahce-Palast, wie so vieles andere in Istanbul auch, ein Symbol für die Torheit, den Osten und den Westen vereinen zu wollen.
Ali Kaptan erwartete sie an Deck seines Bootes. Wie sich herausstellte, war er ein Lase aus einem Dorf am Schwarzen Meer, und wie viele junge Männer aus diesem Volk war er zur See gegangen. Als Taylor und Stone an Bord kamen, salutierte er zackig.
«Teodora», sagte Stone freundlich, während er an Bord kam. «Was für ein schöner Name! Fragen Sie ihn doch, ob er es nach seiner Tochter benannt hat.»
Taylor übersetzte Stones Frage für Ali Kaptan ins Türkische.
«Hayir!», knurrte Kaptan. Nein! Der Gedanke schien ihn zu kränken.
«Er sagt ‹Nein›», gab Taylor weiter.
«Nach wem ist sein Boot denn dann benannt?», fragte Stone liebenswürdig nach. Wieder übersetzte Taylor pflichtbewusst.
«Nach der Kaiserin Teodora», antwortete der Türke und drohte Stone mit dem Finger. Taylor verdrehte die Augen und erklärte Stone, die Kaiserin Teodora sei eine berüchtigte Nymphomanin gewesen, die es häufig mit einem Dutzend Männern hintereinander getrieben haben soll, wobei sie manchmal gleich drei auf einmal nahm.
«Wie reizend!»,
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