Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
kommen selbst in schlechten Zeiten eher aus den an Armen, Beinen und Hüften gespeicherten Vorräten.
Aber warum sollten Frauen überhaupt durch Brüste signalisieren, dass sie über genügend Fettvorräte verfügen? Das Vorhandensein von Fett ist auch ohne Brüste erkennbar, die zusätzlichen Mühen wären nicht nötig. Und wenn Fettreserven zur Fortpflanzung verlocken, warum finden so viele Männer dann gerade schlanke Frauen mit großen Brüsten attraktiv?
In einer fettärmeren Variante der Signalthese lesen Männer an den Brüsten einer Frau ab, wie symmetrisch sie gebaut ist. Ein asymmetrischer Körperbau gilt als Indiz dafür, dass mit den Genen dieses möglichen Fortpflanzungspartners etwas nicht stimmt. Große und gleichzeitig symmetrische Brüste sind in dieser Theorie ein besonders schwieriges Kunststück des Körpers, der auf diese Art seine vorteilhaften Gene zur Schau stellt. Diese Symmetrie-Selektions-Theorien gehen auf die Beobachtung zurück, dass sich Schwalben lieber mit symmetrisch gebauten Schwalben paaren. Der Effekt wurde erstmals in den frühen 1990er Jahren beschrieben und begeisterte Forscher so, dass es in kurzer Zeit mehrere unabhängige Folgestudien gab, die ihn zunächst bei Mensch und Tier bestätigten. Im Laufe der nächsten zehn Jahre und mit zunehmender Datenmenge ließ sich der Symmetrieeffekt aber immer weniger belegen. Da die nachzumessenden Asymmetrien recht klein sind und daher Spielraum bei der Interpretation lassen, vermutet man heute eher den unbewussten Einfluss von Forscherwünschen hinter den anfangs so eindeutig erscheinenden Ergebnissen.
Die Anthropologin Frances E. Mascia-Lees sagt sich nicht nur von der sexuellen Selektion, sondern von der gesamten Anpassungstheorie los und vertritt die These, dass sich Brüste als Nebenprodukt der Einlagerung von Fettreserven entwickelt haben. In der Frühzeit der menschlichen Entwicklung, so die Theorie, breiteten sich unsere Vorfahren aus den Wäldern in die Savanne aus, wo die Nahrungsversorgung je nach Jahreszeit schwankte. Frauen, die mehr Fett ansetzten, erhöhten ihre Chancen, auch in weniger günstigen Jahreszeiten ein Kind erfolgreich auszutragen und lange genug zu stillen. Diese zusätzlichen Fettzellen produzieren Östrogen, und Östrogen führt zur Anlagerung von Fett an den Brüsten, wie dicke Männer aus eigener Anschauung wissen. Die Fettanlagerung vorne am Oberkörper hat in dieser Theorie also nicht mehr Bedeutung als beispielsweise Schwimmringe am Bauch.
Zur Klärung der Frage, ob Brüste eine Anpassungsleistung darstellen oder einen bloßen Nebeneffekt einer anderen Entwicklung, braucht man die oben genannten Kriterien (mit Ausnahme von Punkt 4, dem experimentellen Nachweis, der sich sowieso nicht an der Ethikkommission vorbeischmuggeln lässt). Es sollte erstens eine genetische Basis für die Brustentwicklung geben, und das scheint auch der Fall zu sein: Die Brustgröße wird durch spezifische Gene zumindest mitbestimmt; den Rest regeln Ernährung und genetische Faktoren, die den Körperbau allgemein beeinflussen.
Zweitens sollten größere Brüste mit größeren Fortpflanzungschancen einhergehen. Die Anthropologin Grażyna Jasieńska und ihre Kollegen kommen in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2004 zu dem Schluss, dass Frauen mit großen Brüsten auch tatsächlich fruchtbarer sind als Frauen mit ungünstigerem Verhältnis von Brustumfang zu Brustkorbumfang unterhalb der Brust. Wobei mit «tatsächlich fruchtbarer» hier «theoretisch fruchtbarer» gemeint ist, denn gemessen wurde nicht der tatsächliche Fortpflanzungserfolg, sondern nur der Spiegel zweier Hormone, die als Indikatoren für eine erfolgreiche Empfängnis gelten.
Die Empfängniswahrscheinlichkeit ist aber nur ein Teil der gesamten Fortpflanzungswahrscheinlichkeit. Menschen und andere Primaten bekommen relativ wenig Nachwuchs, in den sie jahrelang hohen Aufwand investieren. Für Frauen genügt es daher, so einigermaßen fruchtbar zu sein; der Fortpflanzungserfolg hängt mindestens ebenso stark davon ab, ob es gelingt, diesen Nachwuchs durchzufüttern und gesund zu erhalten. Die Anthropologin Elizabeth Cashdan wirft in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2008 die Frage auf: Wenn die von Jasieńska und anderen Autoren beschriebenen Proportionen evolutionär so günstig sind, warum sind sie dann – selbst fernab der Zivilisation und ihrer Supermärkte – eher die Ausnahme als die Regel? Cashdan zufolge vermindern dieselben Hormone, die eine
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