Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Elternaufwand der Frau. Manches spricht allerdings dafür, dass diese Theorien weniger die Lage vor ein paar Millionen Jahren widerspiegeln als die gesellschaftlichen Zustände ihrer Entstehungszeit. Das ist jedenfalls die Interpretation der Paläoanthropologin Dean Falk, der zufolge viele soziobiologische Erklärungen des Geschlechterrollenverhaltens eher auf Wunschdenken als auf Wissenschaft fußen: Während Frauen in den 1970er und 80er Jahren sexuell und finanziell unabhängiger wurden, entstand ein erhöhter Bedarf nach beruhigenden Thesen. «Die Geschlechterrollen- und Familienverhältnisse der 1950er Jahre in England und den USA entsprechen exakt dem, was die Evolution vorgesehen hat», sagt diese tröstliche Wissenschaft sinngemäß, «und deshalb wird auch weiter alles so bleiben, die Emanzipation ist nur so eine Modewelle. Bring einfach genügend erjagte Tiere nach Hause, dann verlässt deine Frau dich nicht für einen anderen.»
Aber natürlich rühren in der Theoriensuppe nicht nur Forscher, die sich insgeheim in die 1950er Jahre zurücksehnen. Einige Forscherinnen, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Brustfrage zu Wort gemeldet haben, bringen ihrerseits keine rechte Begeisterung für Hypothesen auf, denen zufolge Brüste sich in erster Linie als Objekt männlicher Begierde entwickelt haben sollen. Wie alle Fragen, in denen es um Männer, Frauen und Evolution geht, ist das Thema hochpolitisch und unterliegt wechselnden Erklärungsmoden. Eventuell wird sich das Gestrüpp der Theorien erst lichten, wenn die Evolution neue, besser angepasste Evolutionsbiologen hervorgebracht hat.
Bei der Erklärung von Brüsten taucht häufig ein Sonderfall der Anpassung auf, nämlich die sexuelle Selektion, deren klassisches Beispiel der Pfauenschwanz darstellt. Die Kosten dieses nutzlosen und hinderlichen Körperteils werden aufgewogen durch die größere Bereitschaft weiblicher Pfauen, sich mit dem Inhaber eines so prächtigen Gefieders zu paaren. Es gibt in der Evolutionsbiologie so viele Pfauenschwanz-Theorien, weil Forscher reflexartig an sexuelle Selektion denken, wenn sich die Angehörigen eines Geschlechts auffällig für ein Merkmal des anderen Geschlechts interessieren und dieses Merkmal gleichzeitig eher unpraktisch erscheint. Welche Mechanismen hinter dem Phänomen der sexuellen Selektion stecken, ist allerdings auch bei den vergleichsweise einfach zu erforschenden Tieren ein Feld mit vielen konkurrierenden Hypothesen. Denkbar ist zum Beispiel, dass die Pfauenweibchen einfach nur den Beweis sehen wollen, dass das Männchen trotz eines absurd unpraktischen Körperteils durchs Leben kommt, ohne sofort von Fressfeinden verzehrt zu werden. Statt ein schönes Gefieder zu entwickeln, könnte sich der männliche Pfau also theoretisch auch einen Autoreifen ans Bein binden. Anderen Modellen zufolge bringt der Pfau einen besonders prächtigen Schweif nur dann hervor, wenn er gesund ist; die Weibchen lesen also aus dem Gefieder den Gesundheitszustand des Männchens ab.
Analog vermuten manche Forscher, dass Männer ein Interesse an der weiblichen Oberweite entwickelt haben, weil Brüste etwas Wissenswertes signalisieren. Männer könnten große Brüste beispielsweise attraktiv finden, weil sie ihnen eine gesicherte Ernährung ihrer zukünftigen Kinder versprechen. Dieses Argument krankt daran, dass die Größe der Brüste nichts mit ihrer Funktionsfähigkeit zu tun hat. Vor dem Beginn der Stillzeit bestehen sie überwiegend aus Fett. In den ersten Monaten des Stillens nimmt das Fettgewebe in der Brust ab und das Drüsengewebe zu, bis nach etwa sechs Monaten ein optimales Verhältnis von Brustgröße zu Milchmenge erreicht ist. Trotz des geringeren Fettanteils funktioniert die Brust jetzt also offenbar effizienter. Selbst wenn große Brüste besonders viel Milch produzieren könnten, wäre das kein Vorteil, denn der Säugling bestimmt die Menge der Milch durch sein Trinkverhalten. Daher reicht die Milchmenge im Normalfall für den Bedarf des Kindes – oder bei Zwillingsgeburten: der Kinder –, und was darüber hinausgeht, wäre Verschwendung.
Auch als Signal dafür, dass die Mutter über ausreichend Körperfett zum Stillen eines Kindes verfügt, eignen sich Brüste aus verschiedenen Gründen nicht: Selbst Brüste der Körbchengröße D enthalten zusammen nur etwa 2 Kilogramm Fettgewebe und damit ungefähr 15 000 Kalorien. So viel verbraucht das Stillen eines Säuglings allein im ersten Monat. Und diese Kalorien
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