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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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Stärke der elektrischen Abstoßung und Anziehung und die Stärke der Wechselwirkung zwischen Elektron und Photon festlegt. Sie beträgt fast exakt 1/137, also 0,0073. Eine praktische Eigenschaft der Feinstrukturkonstante: Sie taucht fast überall auf, wo etwas mit Atomen passiert. Atome sind recht weit verbreitet im Universum, was eine Messung von α erleichtert. Die Feinstrukturkonstante hängt von diversen anderen Konstanten ab, einschließlich der Lichtgeschwindigkeit und der Ladung des Elektrons, die man weniger leicht überprüfen kann. Sollte α nicht konstant sein, dann ist eine dieser anderen Konstanten schuld.
    In den letzten Jahrzehnten ist die empirische Verifizierung der Feinstrukturkonstante in Fahrt gekommen, vor allem, weil man zwei hervorragende Laboratorien für solche Tests gefunden hat. Eines davon liegt in der Region Oklo im westafrikanischen Staat Gabun. Oklo ist bisher der einzige Ort auf der Welt, an dem man natürliche Kernreaktoren gefunden hat. Vor geschätzten zwei Milliarden Jahren passierte dort unterirdisch genau das, was heute in Atomkraftwerken abläuft – nur ohne Betonkuppel, Kühlwassertürme und Bürgerproteste.
    Der Boden in Oklo verfügte damals über eine ungewöhnlich hohe Konzentration des Uranisotops mit dem Atomgewicht 235 – 3 Prozent des gesamten Urans, normal wären 0,7 Prozent. Uran 235 ist das gleiche Isotop, das man in Atomkraftwerken als Ausgangsmaterial verwendet, und es zerfällt anspruchslos von alleine. Wenn man jedoch eine Kettenreaktion auslösen will, sodass der Zerfall eines Atoms automatisch den Zerfall weiterer Atome nach sich zieht, muss man das Uran in einem Material lagern, das die bei der Spaltung entstehenden Neutronen abbremst. In Oklo wurden Neutronen durch Grundwasser abgebremst. Die Bedingungen waren so günstig, dass der natürliche Reaktor ein paar hunderttausend Jahre lang genug Energie produzierte, um circa zehn Einfamilienhäuser zu heizen. Leider verdampfte dabei allmählich das neutronenbremsende Wasser, und der Reaktor brachte sich selbst zum Stillstand. Heute findet man im Boden von Oklo die typischen Abfälle von Kernreaktionen.
    Der russische Physiker Alexander Shlyakhter zeigte im Jahr 1976, wie man mit Hilfe der Bodenproben von Oklo die Feinstrukturkonstante messen kann. Man macht sich dabei zunutze, dass der Zerfall eines Isotops von Samarium – einem Zwischenprodukt des Uranzerfalls – extrem empfindlich auf Änderungen der Konstante reagieren würde, wenn sie sich denn ändert. Aus der chemischen Zusammensetzung des Bodens im Oklo-Reaktor kann man zumindest theoretisch ableiten, welchen Wert die Konstante hatte, als der Reaktor noch funktionierte. Diese Analyse ist leider alles andere als trivial. Man muss unter anderem verstehen, was genau in Oklo vor zwei Milliarden Jahren ablief, insbesondere wie sich die Neutronen damals benommen haben. Außerdem benötigt man ein solides Modell der Vorgänge in Atomkernen. Diese Schwierigkeiten halten Wissenschaftler jedoch nicht davon ab, regelmäßig neue Feinstrukturkonstanten aus den Gruben von Oklo zutage zu fördern.
    Die meisten Physiker sehen auf der Grundlage der Oklo-Bodenproben keinen Anlass, an der Konstanz der Konstante zu zweifeln. Im Moment sieht es so aus, als sei α seit zwei Milliarden Jahren mindestens bis auf circa 0,00001 Prozent konstant. Ab und zu jedoch melden sich Leute zu Wort, die ausgehend von den Oklo-Daten glauben, eine Veränderung in der nächsten Stelle hinter dem Komma festgestellt zu haben. Ob das stimmt oder nicht, darüber wird heftig diskutiert, aber alle scheinen sich darin einig zu sein, dass das letzte Wort in der Angelegenheit noch nicht gesprochen ist.
    Die anderen Orte, die uns einen Blick in die Vergangenheit von α ermöglichen, sind leider deutlich weiter weg als Gabun – so weit, dass man die Hilfe von Astronomen benötigt. Quasare sind die Kerne von speziellen Galaxien und außerdem die hellsten Objekte im Universum (abgesehen von kurzzeitigen Explosionen). Sie verschleudern so viel Licht, dass wir sie auch noch in Entfernungen von mehr als 12 Milliarden Lichtjahren sehen können. Ihre Energie beziehen Quasare aus dem freien Fall von Materie. Wenn eine Tasse aus großer Höhe auf die Erde fällt, dann wird ihre Bewegungsenergie schlagartig in eine andere Form umgewandelt, die eventuell zur Zerstörung der Tasse führt. Ersetzt man die Tasse durch einen Strom aus Gas, die Erde durch ein Schwarzes Loch, die einfachen Gesetze der fallenden

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