Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Stammtisch vorbei. Seine Mitglieder heben an beweglichen Armen Maßkrüge zum Mund und rufen: «Klar, mit Chladni identifiziert sich jeder gern! Aber was ist mit den Legionen von Forschern, deren Arbeit man nicht ernst nimmt, weil sie nämlich einfach nicht recht haben? Auf hundert von denen kommt nur ein einziger Chladni! Und überhaupt, Klimawandel, wenn wir das schon hören! Heutzutage muss der Klimawandel ja immer herhalten, wenn Wissenschaftler gern Fördergelder haben und in der Zeitung stehen wollen! Und alles von unseren Steuern! Prost!» Das Glockenspiel läutet, die Türen schließen sich, und beim nächsten Eisbrocken geht alles wieder von vorne los.
Martínez-Frías und Kollegen haben eine Tabelle der bekannten Megacryometeor-Ereignisse zusammengestellt, die einen steilen Anstieg der Häufigkeit seit den 1950er Jahren zeigt. Den Autoren zufolge spricht diese Zunahme für einen Zusammenhang mit der globalen Erwärmung. Allerdings passt die Beobachtung genauso gut zur Flugzeug-Theorie: Der Flugverkehr hat in derselben Zeit erheblich zugenommen. Noch unpraktischer: Da die Weltbevölkerung sich im selben Zeitraum fast verdreifacht hat und das Nachrichtenwesen ausgebaut wurde, ist es heute erstens wahrscheinlicher, dass ein herabstürzender Eisbrocken überhaupt jemandem vor die Füße fällt, zweitens, dass eine Zeitung darüber berichtet, und drittens, dass Megacryometeorforscher von diesem Zeitungsbericht erfahren. In den letzten zehn Jahren ist die selbstverstärkende Wirkung von Zeitungsartikeln über Megacryometeore hinzugekommen. Ihre Veröffentlichung hat dazu geführt, dass andere Journalisten solche Fälle als Medienthema erkennen und ebenfalls darüber berichten. Denkbar ist also auch, dass die Eisbrocken heute mit genau derselben Häufigkeit zur Erde stürzen wie im Jahr 1950.
Immerhin steht fest, dass tatsächlich hin und wieder größere Eisstücke vom Himmel fallen, die weder aus Abwasser bestehen, noch aus den Tiefkühltruhen von Spaßvögeln stammen. Der Rest bleibt strittig, aber Megacryometeore sind ein demokratisches Rätsel: Jeder hat die – wenn auch kleine – Chance, dabei zu sein, wenn der nächste in einem Vorgarten zersplittert. Vorausgesetzt, Sie standen nicht direkt am Einschlagsort, sondern ein paar Schritte daneben, können Sie dann persönlich mithelfen, das Unwissen in der Welt zu verringern. Notieren Sie die Uhrzeit. Halten Sie nach Flugzeugen und Kondensstreifen Ausschau, und zwar nicht nur direkt über Ihnen, sondern auch am Horizont. Fotografieren Sie die Einschlagstelle, wenn sich das ohne großen Zeitverlust einrichten lässt – am besten zusammen mit einem Gegenstand zum Größenvergleich. Stecken Sie ein möglichst großes Stück Eis in eine unbenutzte Plastiktüte, ohne es mit bloßen Händen zu berühren. (Dabei geht es nicht so sehr darum, dass das Eis Ungesundes enthalten könnte, sondern darum, dass an Ihren Händen Substanzen kleben, die die spätere Analyse erschweren.) Legen Sie die Plastiktüte in ein Gefrierfach, das idealerweise minus 20 Grad haben sollte. Wenn Schäden entstanden sind, verständigen Sie die Polizei, ansonsten das nächstbeste meteorologische Institut und die Nachrichtenkanäle Ihrer Wahl. Das Zurechtlegen von Sätzen wie «Im ersten Moment wusste ich überhaupt nicht, was geschehen war», «Es hörte sich an wie eine Bombe» oder «Tot hätte ich sein können!» ist optional.
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Naturkonstanten
I believe there are 15,747,724,136,275,002,577,605,653,961,181,555,468, 044,717,914,527,116,709,366,231,425,076,185,631,031,296 protons in the universe and the same number of electrons .
Sir Arthur Eddington, «The Philosophy of Physical Science», 1939
Naturkonstanten heißen G , α , c , m e oder ℏ und tauchen in physikalischen Gleichungen so zuverlässig auf wie Ratten auf Mülldeponien. Die Anziehungskraft zwischen zwei Körpern zum Beispiel berechnet sich als Produkt der Massen, geteilt durch das Quadrat ihres Abstandes mal eine Naturkonstante – die Gravitationskonstante G , die 0,00000000006673 Kubikmeter pro Kilogramm pro Quadratsekunde beträgt.
Die Anwesenheit von Konstanten in Naturgesetzen ist keineswegs selbstverständlich. Für Leute, die den Anspruch haben, die Welt zu erklären, ist das Auftauchen von krummen und mysteriösen Zahlen in den sauberen Theorien ein Ärgernis. Naturkonstanten sind die Lücken in den Theorien, Stellen, an denen die Theorie nicht weiterweiß. Über den Konstanten in den
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