Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
arbeiten. Keine schöne Aussicht, wenn man bedenkt, wie viel Spaß man in Hawaii oder Westafrika haben könnte.
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Orgasmus, weiblicher
Wie wunderbar ist es, dass Mann und Frau wichsen können! Es ist ein Genuss, wenn man allein ist, eine große Kompensation für Ärger und Gram, und eine erfreuliche Bereicherung in der Gesellschaft anderer.
Walter in «Mein geheimes Leben» (1888–1892)
«Warum gibt es eigentlich den Orgasmus?» ist eine Frage, die unter Laien viel seltener diskutiert wird als beispielsweise «Warum gibt es eigentlich das Schnabeltier?», und das, obwohl der Orgasmus insgesamt häufiger und nicht nur in Australien auftritt. Wenn es dann doch zu einer Diskussion kommt, hört man oft die Antwort: «weil er Spaß macht». Spaß aber ist für die Natur kein Argument, wie man unschwer an der Existenz von Rückenschmerzen, Nieselregen und →Erdbeben erkennen kann. Warum Männer Orgasmen haben, lässt sich noch relativ einfach erklären: Der Orgasmus dient als Anreiz, die sexuelle Betätigung nicht abzubrechen und die Frau möglichst nicht weggehen zu lassen, bevor die Übertragung von Keimzellen an einen hoffentlich zur Fortpflanzung geeigneten Ort abgeschlossen ist.
Anders bei der Frau, zu deren erfolgreicher Vermehrung es genügt, alle paar Jahre einmal Sex zu haben, der so lange dauert, dass der männliche Samenerguss stattfinden kann. Dafür würde es ausreichen, wenn Frauen Sex milde amüsant finden würden, etwa so wie eine Rückenmassage. Schließlich kratzen wir uns auch freiwillig, wenn es juckt, und wir essen, wenn uns danach ist, ohne eine Kratz- oder Essklimax als Belohnung zu verlangen. Zur Steigerung der Fortpflanzungsmotivation könnte man irgendwo am Körper eine empfindliche Stelle vorsehen, die, wenn man sie kitzelt, im Kopf Interesse an sexueller Betätigung weckt. Tatsächlich scheinen Forscher ohne große Streitereien hinzunehmen, dass diese Art Evolutionsdruck für die Klitoris verantwortlich sein könnte. Aber das erklärt noch nicht, warum dasselbe Organ, wenn man es ein wenig länger kitzelt, auch einen Orgasmus zustande bringt. Das Argument «Es wäre doch aber gemein und ungerecht, wenn nur Männer einen Orgasmus hätten!» ist der Natur nämlich egal, schließlich ist es auch ungerecht, dass viele Affen seidige Greifschwänzchen haben, Menschen aber nicht.
Während Laien sich damit zufriedengeben, dass Orgasmen überhaupt existieren, haben sich Forscher verschiedener Fachbereiche in den letzten Jahrzehnten einige Erklärungen für das Phänomen ausgedacht, und zwar mindestens 21 Stück. Die amerikanische Wissenschaftsphilosophin Elisabeth Lloyd hat sie für ihr 2005 erschienenes Buch «The Case of the Female Orgasm» aufgelistet und begründet, warum ungefähr zwanzigeinhalb davon nicht viel taugen.
19 dieser Hypothesen erklären den weiblichen Orgasmus auf unterschiedlichen Umwegen als evolutionäre Anpassungsleistung. (Im Konzept «evolutionäre Anpassung» verstecken sich wiederum einige grundlegende Fragen, die im Kapitel →Brüste nachzulesen sind.) In etwa der Hälfte dieser Theorien hat sich der Orgasmus im Zusammenhang mit der monogamen Paarbindung entwickelt. Für die evolutionäre Nützlichkeit der Paarbindung gibt es eine Vielzahl möglicher Begründungen, unter anderem die lange Unselbständigkeit von Kleinkindern, deren Überlebenschancen steigen, wenn sich beide Elternteile um sie kümmern. Die sexuelle Betätigung, so das Modell, festigt diese Bindung stärker, wenn sie beiden Partnern möglichst viel Vergnügen bereitet.
Diese Hypothese bringt zwei Probleme mit sich: Zum einen spricht wenig dafür, dass die Fähigkeit zum Orgasmus die Treue zu einem bestimmten Partner steigert. Ein Interesse am Orgasmus könnte genauso gut den Seitensprung fördern und damit die Untergrabung der Paarbindung. Zum anderen begründen die Paarbindungstheorien lediglich, warum Frauen beim Geschlechtsverkehr Orgasmen haben. Wir erinnern uns: Die ursprüngliche Aufgabe war eigentlich, den weiblichen Orgasmus zu erklären, Punkt. Wer nur den Orgasmus beim Geschlechtsverkehr erklärt, geht implizit von vornherein davon aus, dass der weibliche Orgasmus eine evolutionäre Anpassung ist, und setzt damit das voraus, was eigentlich erst zu beweisen wäre.
Außerdem sind «Orgasmus» und «Orgasmus beim Geschlechtsverkehr» offenbar auch technisch nicht einfach gleichzusetzen. Beim Geschlechtsverkehr brauchen Frauen 10 bis 20 Minuten bis zum Orgasmus, beim
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