Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
kleiner, bei den VLT-Quasaren größer. Während Keck auf der Nordhalbkugel der Erde steht und daher vor allem Objekte in der Nordhälfte des Himmels beobachten kann, sieht das VLT in Chile vor allem die Quasare im Süden, weshalb man viele dieser Objekte nur von einem der beiden Teleskope aus beobachten kann. Nimmt man einmal an, dass beide Ergebnisse stimmen, dann bedeutet es, so Webb in einer Publikation aus dem Jahr 2010, dass α nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich variabel ist – nämlich im Norden anders als im Süden. Das macht die Sache natürlich weder einfacher noch den Diskussionsbedarf kleiner.
Mit den Quasaren kann man übrigens noch ganz andere Naturkonstanten nachmessen, zum Beispiel das dimensionslose Verhältnis von Protonen- und Elektronenmasse. Auch da gab es schon Meldungen von Variationen, aber es sieht wohl so aus, als sei der Wert mindestens bis auf 0,001 Prozent konstant. Ähnliches gilt für die Gravitationskonstante. Offenbar leben wir nicht in dem Universum, das sich Dirac vorgestellt hat – die Schwerkraft ist haltbarer, als er dachte.
Man kann Konstanten übrigens auch ohne die Hilfe von Afrika und Quasaren messen. Nur noch ein Beispiel aus dem Sammelsurium an Methoden: Man lässt verschiedene Atomuhren gegeneinander um die Wette laufen und sieht nach, welche als erste ins Ziel kommt. Weil Atomuhren wiederum vom Inneren der Atome abhängen (→Zeit), kann man daraus auf umständliche Art und Weise ein paar Konstanten ableiten. Mit dem Überprüfen von Naturkonstanten kann man als Physiker problemlos seinen Unterhalt verdienen.
Abgesehen von der Frage, ob unsere Konstanten wirklich Konstanten sind, steht noch ein anderes großes Problem im Raum: Warum haben die Konstanten genau die Werte, die sie haben? Namhafte Physiker haben sich in dunklen Stunden an dieser Frage abgearbeitet. Der Engländer Arthur Eddington zum Beispiel schaffte es, einen Zusammenhang zwischen der Feinstrukturkonstante und der Anzahl der Protonen im beobachtbaren Universum an den Haaren herbeizuziehen und erntete dafür einigen Spott in Physikerkreisen.
Irgendeinen Wert müssen die Dinger ja schließlich haben, könnte man naiv erwidern, aber das ist zu kurz gedacht. Wären die Konstanten nur ein klein bisschen verstellt – es gäbe uns nicht. Man muss nur leicht an den Massen von Elementarteilchen oder an der Stärke ihrer Wechselwirkung (z.B. an der Feinstrukturkonstante) drehen, und Atome stürzen zusammen, Sterne funktionieren nicht mehr richtig, und auch sonst geht alles den Bach runter. Komplizierte Chemie, wie sie für die Entstehung von Leben notwendig ist, steht in vielen der verstellten Universen nicht auf dem Stundenplan. Offenbar ist unser Universum so eingestellt, dass es gerade uns geben kann. Insofern müssen die Konstanten genau die Werte haben, die sie haben, damit wir uns diese Sorgen überhaupt machen können.
Trotzdem muss es eine Erklärung geben, es gibt schließlich immer eine. In diesem Fall sogar zwei: Auf der einen Seite könnte das Universum eben exakt so eingerichtet sein, dass unsere Existenz möglich ist, eine Hypothese, die die Menschheit in direkten Zusammenhang mit dem Ursprung des Universums bringt und meist einen intelligenten Designer verlangt. Bei Designer denkt man automatisch an Götter, die über den physikalischen Gesetzen stehen, aber es wäre auch denkbar, dass unser Universum von hochentwickelten →Außerirdischen zusammengeschraubt wurde. Oder aber in einer Art Computer simuliert wird, warum nicht.
Auf der anderen Seite könnten einfach alle Welten mit allen möglichen Kombinationen aus Naturkonstanten existieren. In solchen «Multiversums»-Theorien – es gibt ziemlich viele verschiedene davon – wohnen wir in dem einen Universum von Abermillionen, in dem es Strom aus der Steckdose und fließendes Wasser gibt. Falls das so ist, könnten wir aus den Naturkonstanten eventuell etwas über unsere Nachbaruniversen lernen. Der amerikanische Astronom Fred Adams zum Beispiel rechnete im Jahr 2008 aus, dass ein Viertel der möglichen Kombinationen aus Naturkonstanten die Entstehung von Sternen erlaubt. Wer sich also jemals in ein anderes Universum verirrt, hat gewisse Chancen, dort ebenfalls einen Sternenhimmel vorzufinden.
Ob Design oder Multiversum: Die Frage, warum wir existieren, ist zumindest hart am Limit dessen, was man mit den Mitteln der Physik beantworten kann. Schnell gerät man in zweifelhafte Kreise und muss den Rest seines Lebens als Philosoph
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