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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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Naturgesetzen muss man sich die Gedankenblase «Vorläufig, bitte nochmal nachdenken» vorstellen. Andere formulieren es positiver und beschreiben Konstanten als eine Art Fenster, das uns einen Blick auf die Welt erlaubt. Zunächst jedoch müssen die Laborleute ran und jede einzelne der Konstanten mühselig ausmessen. Die erwähnte Gravitationskonstante G wurde erstmals im Jahr 1798 von dem englischen Physiker Henry Cavendish bestimmt, mit Hilfe eines Apparats, der vor allem aus Kugeln und Drähten besteht. Ohne Frage würden Physiker ein Naturgesetz vorziehen, das ohne Drähte auskommt.
    Mit jeder neuen Theorie entstehen neue Konstanten. Die Spezielle Relativitätstheorie zum Beispiel führt die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ( c = 299 792 458 Meter pro Sekunde) als Naturkonstante ein. Man wusste zwar seit dem 17. Jahrhundert, dass Licht eine Geschwindigkeit hat, aber ihren Status als Konstante verdankt diese Geschwindigkeit Albert Einstein. Andere Konstanten verschwinden, wenn die dazugehörigen Theorien durch neue ersetzt werden, was eine übermäßige Vermehrung der Konstanten zum Glück verhindert. So verlor die Schwerebeschleunigung auf der Erde ( g = 9,81 Meter pro Quadratsekunde) ihren Status als Naturkonstante, weil sie sich aus dem Newton’schen Gravitationsgesetz als Spezialfall ableiten lässt, wozu man lediglich Masse und Radius der Erde benötigt – und die neue Konstante G .
    Die Naturkonstantenforschung ist keine eigenständige Disziplin, sondern immer gekoppelt an ein theoretisches Konstrukt – man nimmt die faulen Stellen der jeweiligen Theorie unter die Lupe. Die Anzahl der Naturkonstanten, die wirklich diesen Namen verdienen, also fundamentale Eigenschaften des Universums sind, hängt davon ab, welche Theorie über das Universum man für richtig hält. Es gibt gute Gründe, an zwei, drei oder gar keine fundamentalen Konstanten zu glauben. Die zurzeit üblichen Modelle zur Beschreibung der Welt benötigen allerdings mindestens 22, darunter so wenig bekannte wie den Weinbergwinkel, den man unter anderem bei der Beschreibung des radioaktiven Zerfalls von Elementen braucht.
    Wenn Konstanten entstehen und wieder verschwinden, ist es auch nicht mehr so verwunderlich, dass die heute gebräuchlichen Naturkonstanten nicht unbedingt konstant sein müssen – so bizarr sich das anhört. Eigentlich können wir nur dann sicher sein, dass eine Konstante konstant ist, wenn wir genau wissen, was sie bedeutet und wo sie herkommt. Solange wir das nicht verstanden haben, können die Naturkonstanten machen, was sie wollen.
    Der englische Physiker Paul Dirac gehörte zu denen, die als Erste über variable Konstanten spekulierten. In seiner «Hypothese der großen Zahlen» stellte er fest, dass das Verhältnis aus der elektrischen Anziehung zwischen Proton und Elektron und der Schwerkraft – eine Naturkonstante – ungefähr genauso groß ist wie das Alter des Universums, wenn man die Einheiten geschickt wählt. Beide Zahlen liegen im Bereich von 10 40 , einer Eins mit vierzig Nullen. Dirac hielt dies nicht für Zufall, sondern für einen Fall von veränderlichen Naturkonstanten – die Gravitationskonstante entwickle sich invers proportional zur Zeit und werde mit zunehmendem Alter des Universums immer kleiner. Die meisten seiner Kollegen tun solche Mutmaßungen als Zahlenmystik ab. Der zugrundeliegende Ansatz jedoch ist nicht so abwegig: Naturkonstanten sind vielleicht nicht einfach irgendwelche Zahlen, sondern physikalische Parameter, die sich mit dem Universum entwickeln. Es ist also sicher eine gute Idee, nachzusehen, ob sie an anderen Orten und zu anderer Zeit noch dieselben sind.
    Viele Naturkonstanten entziehen sich einer sinnvollen Kontrolle, weil sie zu eng an die menschengemachten Maßeinheiten gebunden sind. Ein Beispiel ist die Längeneinheit Meter: Bis 1960 war das Meter anhand eines Metallbarrens definiert. Die Länge eines solchen Barrens wird unter anderem durch die Größe seiner Atome bestimmt, die wiederum von diversen Naturkonstanten abhängt. Verändern sich die Naturkonstanten, dann verändert sich auch der Längenstandard, den man zur Messung der Naturkonstanten benötigt, und am Ende ist man genauso schlau wie am Anfang. Meistens konzentriert man sich daher auf Naturkonstanten, die die angenehme Eigenschaft haben, ohne Maßeinheit auszukommen; sogenannte dimensionslose Konstanten.
    Besonderer Aufmerksamkeit erfreut sich die dimensionslose «Feinstrukturkonstante» α , die unter anderem die

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