Das neue Philosophenportal
»nicht in dem Sinn, dass ich preisgegeben und passiv bliebe in einem feindlichen Universum, wie die Planke,
die auf dem Wasser treibt, sondern im Gegenteil in dem Sinn, dass ich mich plötzlich allein und ohne Hilfe finde, engagiert
in eine Welt, für die ich die gesamte Verantwortung trage ...«
Das Sein und das Nichts
entwirft das Bild einer Welt, in der jeder Einzelne, der uns zunächst wie ein unbekanntes Objekt in der Ordnung des Universums
erschienen war, dazu aufgerufen ist, sich durch sein Handeln kenntlich zu machen und sein eigenes Stückchen Sinn in dieses
Universum zu tragen. Die Verantwortung dafür hat jeder alleine. Und jeder muss es auf seine eigene Art tun.
Das Sein und das Nichts
erschien 1943 in Paris zu einer Zeit, als die Stadt noch nicht von der deutschen Besatzung befreit war. Deshalb fand das Buch
zunächst kaum ein Echo. Doch in die philosophische Öffentlichkeit der Nachkriegszeit schlug das Werk wie eine Bombe ein. Für
die einen wurde es zum philosophischen Äquivalent der Résistance, zu einem Akt der Befreiung von den totalitären Ideologien der ersten Jahrhunderthälfte, in denen das Individuum zum Hilfsarbeiter
der Weltgeschichte gemacht worden war. Für die anderen war es ein Skandal: Die Kirche kritisierte die Abwesenheit Gottes,
die damals sehr einflussreichen französischen Kommunisten beklagten das Fehlen der Solidarität und der gesellschaftlichen
Rolle des Menschen, ein Einwand, den Sartre durch sein zweites großes Werk,
Die Kritik der dialektischen Vernunft
, zu entkräften suchte. Doch obwohl er sich in späteren Jahren in einen heftigen Flirt mit dem Marxismus verwickelte und sich
als Gesellschaftsphilosoph etablieren wollte, blieb seine philosophische Lebensleistung vor allem mit seiner existentialistischen
Frühphase verbunden.
Die in
Das Sein und das Nichts
formulierten Thesen beeinflussten die gesamte zeitgenössische Literatur und Kunst, vom absurden Theater eines Samuel Beckett
oder Eugène Ionesco bis zu den Skulpturen Alberto Giacomettis. Sie dienten auch Simone de Beauvoir als Inspiration für ihr
monumentales Werk
Das andere Geschlecht
, ein Grundbuch des modernen Feminismus, das mit der Analyse der Rolle der Frau der Kategorie des »Anderen« einen neuen Sinn
gab.
Das Sein und das Nichts
hat die einmalige Rolle des Menschen in der Welt herausgearbeitet und gezeigt, dass unsere Rede von der Würde, der Verantwortung
oder der Kreativität des Menschen nur Sinn hat, wenn wir dahinter den Einzelnen sehen, der in Freiheit sein eigenes Leben
gestalten kann. Es ist das Verdienst Sartres, dieser Freiheit eine philosophische Grundlage gegeben zu haben.
Ausgabe:
Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Herausgegeben von Traugott König. Deutsch
von Hans Schöneberg und Traugott König. Reinbek: Rowohlt 1993.
Offenbarungseid des Fortschritts
Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung (1944)
Zu den unverwüstlichen Mythen der Menschheit gehört die Geschichte vom verlorenen Paradies. In der jüdischen und christlichen
Tradition wird sie im ersten Buch des Alten Testaments erzählt. Der strenge und machtbewusste alttestamentarische Gott vertreibt
Adam und Eva aus dem Garten Eden, weil sie vom verbotenen Baum der Erkenntnis gegessen haben. Dieser Sündenfall markiert das
Ende ihrer Unschuld. Die Menschen haben, so könnte man sagen, sich aus der Natürlichkeit des instinktgeleiteten Verhaltens
gelöst und sind sich eines brisanten Werkzeugs bewusst geworden: der Vernunft. Natur und Vernunft treten auseinander. Zum
alten Zustand gibt es nun kein Zurück mehr. Engel mit flammendem Schwert bewachen das Paradies, das den Menschen von nun an
verwehrt ist.
Der Sündenfall hat bis heute auch die Philosophen beschäftigt, vor allem diejenigen, die sich die Frage stellten: Was ist
seitdem aus der Menschheit geworden? Wie haben die Menschen ihre Vernunft genutzt? Die
Dialektik der Aufklärung
von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno hat darauf eine niederschmetternde Antwort gegeben: Statt sich mit der Natur neu zu versöhnen, hat die Vernunft sich
selbst verraten und ist zum Instrument der Unterdrückung des Menschen und der Vergewaltigung der Natur geworden. Der Mensch
hat sich die Natur, im schlechten Sinn des Wortes, »untertan gemacht«. Vernunft, Aufklärung, Fortschritt: Das, was dem Glück
der Menschheit dienen sollte, ist zum
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