Das neue Philosophenportal
Widmung »Für den Castor«.
Bereits mit seinem Titel
Das Sein und das Nichts – Versuch einer phänomenologischen Ontologie
lehnt sich Sartre an die schwierige Rhetorik der deutschen Philosophie in der Tradition Hegels, Husserls und Heideggers an.
»Sein« ist ein Begriff, der als der allgemeinste und grundlegendste Begriff der Metaphysik schon in der Antike eine große
Rolle spielte, dann aber besonders von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dem bedeutendsten Vertreter des Deutschen Idealismus,
und später von Heidegger wieder aufgegriffen wurde. Mit dem »Sein« meint Sartre den gesamten Bereich der Wirklichkeit, einschließlich
des Menschen.
Hegel und Heidegger lieferten Sartre auch den Begriff des »Nichts«, der nun aber eine ganz spezielle Färbung annimmt. Die
französische Sprache kennt für das »Nichts« zwei unterschiedliche Begriffe, »néant« und »rien«. Das von Sartre benutzte »néant« bezeichnet etwas Fehlendes, eine Leerstelle, die aber ausgefüllt werden kann.
»Néant« ist im Gegensatz zu »rien« offen für eine Verwirklichung. Es deutet auf eine noch nicht vorhandene, aber mögliche
Wirklichkeit.
Mit dem Begriff »phänomenologisch« gibt Sartre einen Hinweis darauf, dass er die Schrift als eine Weiterentwicklung der Phänomenologie
Edmund Husserls begreift. Dass es sich um eine »Ontologie«, um eine Lehre von den Grundlagen und Prinzipien der Wirklichkeit,
handelt, scheint zwar durch die hervorgehobene Verwendung des Begriffs »Sein« bestätigt zu werden, gilt jedoch nur mit Einschränkung:
Denn Sartre geht es, wie Heidegger, vor allem um den Menschen, seine Freiheit und seine Selbstverwirklichung.
Das Sein und das Nichts
hat sprachlich zwei völlig unterschiedliche Gesichter: Sartre benutzt einerseits eine hoch abstrakte Kunstsprache, offenbart
jedoch andererseits sein literarisches Talent, indem er seine Thesen auf fast erzählerische Art durch konkrete Szenen und
Situationen beleuchtet. Gerade diese Passagen werden immer wieder zitiert und haben das Buch berühmt gemacht.
Sartre unterscheidet zwei grundsätzliche Arten des Seins: Das »An-sich-sein« und das »Für-sich-sein«. Beide Begriffe stammen
von Hegel, doch Sartre gibt ihnen eine eigenständige Bedeutung. Mit »An-sich-sein« meint er die Welt der Dinge, die kein Bewusstsein
haben und in ihren wesentlichen Eigenschaften festgelegt sind. Dasjenige Sein, das Bewusstsein hat und zur Wirklichkeit eine
eigenständige Beziehung herstellen kann, nennt er »Für-sich-sein«. Vereinfacht gesagt: Das »Für-sich-sein« ist der Mensch,
das »An-sich-sein« die ihn umgebende Welt.
Der inhaltliche Aufbau des Buches lässt sich in Analogie zu einer Romanhandlung beschreiben: Sartre enthüllt vor dem Leser,
wie aus der Ordnung des An-sich-seins ein zunächst unbekanntes Wesen, das Für-sich-sein, auftaucht, wie es allmählich Gestalt
annimmt und sich schließlich selbst in der Ordnung der Wirklichkeit einen eigenen Platz schafft.
In der Welt des Seins entdeckt es zunächst schwarze Löcher, also ein Sein, von dem wir zunächst nicht genau sagen können,
was eseigentlich ist. Und doch zeigt sich in diesen Leerstellen etwas: das »Nichts«. Es kann nicht von dem An-sich-sein hervorgebracht
worden sein, von den Dingen also, die uns in ihren Eigenschaften bekannt sind. Das Nichts ist vielmehr mit einem anderen Sein
verbunden, dem menschlichen Sein. Es ist ein Sein, das nicht in allen Eigenschaften festgelegt ist. In ihm enthüllt sich etwas
Offenes, etwas, von dem wir noch nicht wissen, was aus ihm wird.
Das menschliche Sein hat die einmalige Eigenschaft, etwas Bestimmtes auch
nicht
zu sein, d. h., sich gegenüber der Wirklichkeit auch negativ verhalten zu können. Wie Heidegger glaubt Sartre, dass sich der Mensch bewusst
zu seinem eigenen »Sein« verhalten, dass er sich für etwas entscheiden und sein Sein selbst gestalten kann. Er kann immer
auch Nein sagen.
Doch der Mensch kann sich nicht nur negativ gegenüber der Welt, sondern auch negativ gegenüber sich selbst verhalten. Er kann
die Möglichkeit, auch anders zu sein, die ihn von den Dingen unterscheidet, übersehen und leugnen. Diese Haltung nennt Sartre
»mauvaise foi«, ein Begriff, der für jeden Übersetzer eine Herausforderung darstellt und im Deutschen häufig mit »Unaufrichtigkeit«,
manchmal sogar mit »schlechtem Gewissen« übersetzt wird. Doch Sartre verbindet mit diesem Begriff keine moralische Wertung.
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