Das neue Philosophenportal
mehrere. Heidegger
hatte die soziale Verknüpfung des Menschen mit anderen Menschen durch den Begriff »Mitsein« bezeichnet. Bei Sartre allerdings
erhält dieses Mitsein den Charakter eines Gegensatzes, einer Bedrohung. Der Andere ist jemand, der im Weg steht und mit dem
man sich ständig auseinandersetzen muss. Inspiriert wurde Sartre zu dieser Sicht von dem berühmten Abschnitt über »Herr und
Knecht« in Hegels
Phänomenologie des Geistes
, in dem Hegel in einer bildlichen Sprache schildert, wie sich das menschliche Selbstbewusstsein durch einen Kampf herausbildet,
den es mit einem anderen Selbstbewusstsein um gegenseitige Anerkennung ausficht.
Einen solchen Konflikt schildert Sartre in dem zentralen und vielleicht bekanntesten Kapitel des Buches mit dem Titel »Der
Blick«. Der Andere stellt meine Freiheit, die Möglichkeit, meinen Platz in der Welt zu wählen, in Frage, indem er mich wie
ein Objekt, wie ein An-sich-sein, anblickt. Wie im Falle des Ekels, der mir die Präsenz einer sinnlosen Welt bewusst macht,
ist es wiederum ein Grundgefühl, das mir eine fremde Wirklichkeit, die Präsenz des Anderen, bewusst macht. Es ist das Gefühl der Scham. Sartre verdeutlicht
dies durch die Situation desjenigen, der eine Szene durch ein Schlüsselloch beobachtet und in diesem Schauen zunächst ganz
aufgeht. Plötzlich fühlt er selbst den Blick eines anderen auf sich ruhen. Im Angeblickt-Werden erfährt er den Anderen als
Subjekt und sich selbst als Objekt. Er fühlt sich mitten in die Welt der Dinge »geworfen«. Dieses Objekt-Sein löst Scham aus,
aber auch das Bewusstsein, ein Ich zu sein. Hier erst, in der Konfrontation mit dem Anderen, entsteht aus dem ursprünglich
leeren Bewusstsein zugleich das Bewusstsein von einem Ich und das Bewusstsein von der Existenz des Anderen. Indem ich aber
ein eigenes Ich-Bewusstsein entwickle, bin ich nun auch fähig, meine Entfremdung als Objekt zu überwinden und den Anderen,
wie Sartre sagt, »als Objekt zu konstituieren«, d. h., den Spieß umzudrehen.
Der Mensch bleibt gegenüber dem anderen Menschen bei Sartre immer in einem Verhältnis des Konflikts und der Abgrenzung. Zu
einem gegenseitigen Verstehen des Anderen, zu einem gleichberechtigten Verhältnis von Subjekt zu Subjekt kommt es nicht. Der
Andere bleibt immer eine potenzielle Bedrohung meiner Subjektivität. In seinem kurz nach
Das Sein und das Nichts
erschienenen Theaterstück
Geschlossene Gesellschaft
hat Sartre dies in dem berühmten Satz ausgedrückt: »Die Hölle, das sind die Anderen.«
Das Sein und das Nichts
bleibt auf den einzelnen Menschen und seine Selbstverwirklichung konzentriert. Dabei ist die Analyse von Bewusstseins- und
Erkenntnisprozessen lediglich der Ausgangspunkt. Sartre ist ein Philosoph, der den Menschen mitten in die Welt platziert und
von ihm verlangt, auf die Herausforderung eines sinnlosen Universums, auf die Tatsache des »Geworfenseins« mit einem eigenen
Existenzentwurf zu antworten. Sartres Philosophie der Freiheit ist auch eine Philosophie des Engagements. Der Mensch kann
diese Freiheit nicht ablehnen, da er sonst dem »mauvaise foi«, dem Selbstbetrug, verfällt. Wir sind, so eine der bekanntesten
Aussagen Sartres, »zur Freiheit verurteilt«.
Deshalb steht nicht zufällig das Handeln im Mittelpunkt des letztenTeils des Buches. Mit der Freiheit müssen wir auch die Verantwortung für unsere Existenz annehmen. Dies bedeutet, sich auch
auf die Umstände einzulassen, die wir vorfinden. Wir werden mit einer bestimmten genetischen Ausstattung geboren, wir leben
an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit. Diese Umstände, an die unser Leben gebunden ist, nennt Sartre »Faktizität«.
Faktizität und Transzendenz, das Gebundensein und das Überschreitenkönnen, sind die beiden Pole, zwischen denen sich unser
Handeln vollzieht.
Die Stellung, die wir zwischen diesen beiden Polen haben, nennt Sartre »Situation«. In der Situation muss der Mensch für die
Umstände, in denen er lebt, die Verantwortung übernehmen und sie als Bestandteil der eigenen Wahl begreifen. Sie sind gewissermaßen
das Material, dessen sich meine Freiheit bedient, um ein eigenes Haus zu bauen. Sie sind nicht in erster Linie Einschränkungen,
sondern Ausgangspunkt, Chance und Gelegenheit. In die Welt geworfen sein heißt, sich wie ein Läufer am Start zu sehen und
den Wettkampf des Lebens anzunehmen: »Ich bin in die Welt
geworfen
«, so Sartre,
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