Das neue Philosophenportal
»Mauvaise foi«, wörtlich: »Schlechtgläubigkeit«, hat derjenige, der im Grunde weiß, dass er etwas tun kann oder soll, es aber
nicht tun will und deshalb behauptet, er könne es nicht. »Mauvaise foi« ist bei Sartre die Form der Selbsttäuschung, mit der
sich der Mensch über sein eigenes Wesen betrügt. Er verhält sich wie ein An-sich-sein, obwohl er ein Für-sich-sein ist. Es
ist Sartres Pendant zu Heideggers Zustand der »Uneigentlichkeit«, in dem der Mensch sich weigert, die in ihm angelegten Möglichkeiten
zu verwirklichen.
Ein bekanntes Beispiel, das Sartre für »mauvaise foi« gibt, ist das des Kellners, der sich völlig mit seiner beruflichen Rolle
identifiziert. Indem er die Abläufe seiner Tätigkeit automatisiert, gibt er ihnen den Charakter der Unausweichlichkeit. Er
bemüht sich, so Sartre, »seine Bewegungen ineinander übergehen zu lassen, als wären sie Mechanismen, die einander steuern,
seine Mimik und sogar seineStimme wirken wie Mechanismen«. Der Kellner tut so, als sei er ein An-sich-sein, als sei das Kellner-Sein sein für allezeit
festgelegtes Wesen. In Wahrheit spielt er jedoch nur eine Rolle. Wie alle Menschen könnte er auch eine andere Rolle spielen,
sich von dem, was er im Augenblick gerade ist und tut, distanzieren und seinen Zustand verändern. Dies sich selbst gegenüber
zu leugnen ist »mauvaise foi«.
Das Auftauchen des Nichts in der Ordnung des Seins führt uns nach Sartre also zum Für-sich-sein, zu dem menschlichen Bewusstsein,
das sich unseren Festlegungen entzieht. Die Art, wie Sein und Nichts für dieses Bewusstsein zusammenspielen, hat Sartre in
folgendem Satz zusammengefasst: »Das Bewusstsein ist nicht, was es ist, und es ist, was es nicht ist.« Eine zunächst höchst
verwirrende Aussage, die sich nur dann verstehen lässt, wenn man erkennt, dass Sartre hier das Wörtchen »ist« in jeweils verschiedener
Weise verwendet. »Das Bewusstsein ist nicht, was es ist« heißt: Das Bewusstsein lässt sich nicht auf seinen jeweils gegenwärtigen
Zustand festlegen. Die entscheidende Eigenschaft, das Wesen des Bewusstseins liegt vielmehr darin, dass »es ist, was es nicht
ist«, dass es also immer wieder über sich hinausgehen, sich übersteigen kann. Genau in diesem Sinn des Übersteigens, lateinisch
»transcendere«, benutzt Sartre den Begriff »Transzendenz«. Gemeint ist nicht die übersinnliche Welt, die sich unserer Erfahrung
entzieht, sondern etwas typisch Menschliches: die Fähigkeit, etwas anderes aus sich zu machen, als man ist.
Man kann Sartres Satz also folgendermaßen übersetzen: Das Bewusstsein zeichnet sich dadurch aus, dass es sich nie festlegen
lässt und immer für neue Möglichkeiten des Selbstverständnisses offen bleibt.
So gewinnt Sartre aus der Analyse des Nichts die Vorstellung eines menschlichen Bewusstseins als dem Ursprung menschlicher
Freiheit. Es ist das, was den Menschen vor den Dingen, dem An-sich-sein, auszeichnet. Sartre gehört zu jenen Philosophen,
die die Sonderrolle des Menschen gegenüber allen anderen Erscheinungen der Wirklichkeit besonders betonen und es ablehnen,
den Menschen durch äußere Einflüsse wie Vererbung, Erziehung oder gesellschaftliche Stellung zu definieren.
Sartre bezieht sich auf Diskussionen der mittelalterlichen Philosophie, wenn er sagt, dass beim Menschen, im Unterschied zu
den Dingen, die »Existenz« der »Essenz«, also das »Dasein« dem »Wesen« vorausgeht. Inwieweit z. B. im Wesen, d. h. in der allgemeinen Definition von »Mensch« oder »Pferd« die Existenz eines Menschen oder eines Pferdes bereits vorgeprägt
ist und ob jenes »Allgemeine« vielleicht sogar eine eigenständige Existenz besitzt, war im Mittelalter heiß umstritten. Für
Sartre jedenfalls ist die menschliche Existenz nicht vorgeprägt. Der Mensch ist für ihn zunächst wie ein unbeschriebenes Blatt
und bildet das, was ihn eigentlich ausmacht, erst im Laufe seines Lebens aus. Anders verhält es sich mit dem An-sich-sein,
der Welt der Dinge: Sie sind in ihren wesentlichen Eigenschaften von vorneherein festgelegt.
Das Für-sich-sein gibt dem Menschen auch in einer anderen Hinsicht eine einmalige Stellung innerhalb der Wirklichkeit: Er
kann sich zum Zentrum seiner Welt machen und die Dinge um ihn herum auf sich beziehen. Doch dabei gibt es eine entscheidende
Schwierigkeit: Der Mensch ist nicht allein auf der Welt, es gibt nicht nur ein einziges Für-sich-sein, sondern
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