Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
oder »niedrige Arbeiten«. Die will er selbst nicht auf sich nehmen. Und – wie gesagt – seine Forscherkarriere leidet eher, wenn er diese nichtwissenschaftlichen Arbeiten selbst erledigt.
Das Management der Forschungseinrichtungen und die staatlichen Förderstellen wollen diese Richtzahl (»Es kostet mindestens das Zehnfache bis zum Produkt«) in der Regel nicht zur Kenntnis nehmen. Sie verlangen einfach, dass die großzügigen Forschungsgelder allein schon zu fertigen Innovationen führen. Die Professoren versuchen ihr Bestes, das Unmögliche wahr zu machen. Sie beschäftigen eine Vielzahl von Doktoranden (»Forscher«), die aber den Großteil ihrer Zeit gar nicht an der Doktorarbeit sitzen, sondern Verfahren entwickeln und die Prototypen mit der Zeit zu Innovationen ausbauen. Teure Wissenschaftler arbeiten dann ganz normal an der Produktentwicklung, weil kein Geld für normale Mitarbeiter da ist. Viele Doktoranden stehen im Labor oder entwickeln Software, sie haben kaum mit Wissenschaft zu tun. Die Zeiten für das Anfertigen von Dissertationen werden endlos lang. Die Karriere eines Wissenschaftlers beginnt wegen der Beteiligung an Routinearbeiten denkbar schlecht. Er hätte so viel Spaß an der Wissenschaft, muss aber so lange praktisch und wissenschaftsfrei für einen Professor schuften. Wird er unter diesen Umständen Innovationen lieben können? Wahrscheinlich nicht, er stürzt sich wahrscheinlich sofort auf die reine Forschung, sobald seine Knechtschaft mit der Doktorprüfung beendet ist.
Oder, in den psychologischen Vorstellungen des vorigen Abschnitts beschrieben: Hoffnungsvolle Beta-Typen werden jahrelang als normale Facharbeiter, Laboranten oder Programmierer missbraucht. Drei Jahre Gamma vorweg als Eintrittsgeld? Ist das ein guter Entwicklungsplan für die Hoffnungsträger?
Die Wissenschaftler wollen so etwas wie Professoren werden, sollen aber gleichzeitig Innovatoren sein, ohne dass sie das Geld, die Unternehmensstrukturen und die Mitarbeiter dafür bekommen. Sie sollen alles »irgendwie selbst schnitzen«. Das geht gar nicht und deshalb scheitert fast alles. Es ist so leicht zu rufen: »Raus aus dem Elfenbeinturm, ihr Wissenschaftler!« Das ist sehr berechtigt, aber bitte, wohin außerhalb des Turms sollen die Forscher denn gehen? Überhaupt alle Wissenschaftler, die in den USA gearbeitet haben, schaudern anschließend über die Laborbedingungen in Deutschland und kommen nicht gerne zurück. Hierzulande sieht man nur, »dass die Förderung in den USA üppiger ausfällt«. Das hat aber weniger mit Geld zu tun, auch wenn man dies hier in Deutschland denkt. »Drüben in den USA« wird Innovation besser verstanden, insbesondere der Riesenunterschied zwischen dem Prototypen in der Universität und dem Produkt am Markt. Deshalb ist Deutschland das Land der Denker und der Ideen, die USA sind mehr das Land der Innovationen. Das wird allgemein bemerkt und stets bedauert – es bleibt aber bei verwunderten Tränen.
Die Realitätsferne der Forscher
Neue Produkte oder Services treffen auf eine noch unvorbereitete Welt. Viele Menschen schauen sich alles an, überlegen kurz und schütteln den Kopf. »Zu viele Probleme, zu wenig Vorteile.« Neue Produkte gehen oft »an der Realität vorbei«, sie sind zu unpraktisch und nicht genug durchdacht. Viele sensationelle Küchenwerkzeuge sind auf den ersten Blick sehr nützlich, dann aber muss man sie nach dem Gebrauch länger reinigen als vorher Zeit gespart wurde – und wer öfter solche Wunderprodukte gekauft hat, findet sehr bald keinen Stellplatz mehr für Neues. Es gibt zwei bekannte Fehler bei der Produktentwicklung:
Das Neue ist nahezu unbrauchbar, weil es bei der Nutzung zu viele Probleme gibt, die der Entwickler nicht bedacht hat.
Das Neue ist derart durchdacht, dass es sehr teuer ist und zu viele Anwendungsmöglichkeiten hat, »die kein Mensch versteht« (»Diese winzige Digitalkamera hat 230 Motivprogramme für jeden speziellenAnlass, geben Sie einfach die auswendig gelernte dreistellige Ziffer ein«) oder dass es erst dann auf den Markt kommt, wenn alle Leute schon ein einfaches Produkt nutzen, also Jahre zu spät.
Ein Produkt kann also mit zu wenig Realitätssinn oder mit zu viel davon entwickelt werden. Heute, wo es alle Unternehmen sehr eilig haben und jede Minute auf die Uhr schauen und nach Fortschritten fragen, kommt eher der erste Fall vor. In der Regel ist das Produkt nicht gut genug durchdacht.
Ich erwähnte schon, dass wir in meiner
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