Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
den nötigen Bewusstseinswandel von uns allen, von der Mehrheit der Menschen. Folgen wir? Meistens nicht.
Das Verhältnis der Forscher zu Marketing und Vertrieb
Nachdem ein Wissenschaftler einen Prototyp gebaut hat, der die Idee für eine Innovation gut sichtbar macht, muss er sie »verkaufen gehen«. Er muss jetzt als Protagonist einer Neuerung auftreten, OpenMinds überzeugen und in seinen Bann ziehen. Was tun?
Seine Aufgabe ist nun, das weite Land der anderen Menschen auszukundschaften. Wozu kann man das Neue benutzen? Wie wird es angewendet? Was verstehen die normalen OpenMinds darunter? Welche Gründe haben CloseMinds, sich zu verschließen? Durch das Vorführen seines Prototyps auf Messen oder Erfinderkongressen kann er eine Menge Einsicht erhalten. Daraufhin verbessert der Wissenschaftler seine Idee möglichst schnell, bis irgendwann die OpenMinds finden, sie müssten so etwas kaufen können. Sie hören dann mit dem vielen Fragen auf, ob das, das und das schon mit dem neuen Produkt »geht«. Sie wollen irgendwann wissen, ob es das neue Produkt schon zu kaufen gibt und wie viel es kostet.
Der große Triumph kommt, wenn endlich ein OpenMind (nach ersten Protagonisten) das Produkt zur Probe kauft, ausprobiert und gut findet. Dann ist der erste zufriedene Referenzkunde gewonnen. Das ist ein sicheres Zeichen, dass das Neue Anklang findet. Nun muss sich der Wissenschaftler voll umstellen.
Nach dem ersten zufriedenen Käufer eines Neuen zum normalen Preis geht die Explorationsphase in eine Marketing-»Posaunen«-Phase über. Jetzt wird getrommelt, um viele weitere Neukunden zu gewinnen. Jetzt setzt das Neue zum Sprung über die Schlucht zwischen den Protagonisten und den OpenMinds an.
Wenn sich die Kunden wirklich für einen Prototyp interessieren und fast schon eine Kaufabsicht in den Augen haben, werden die meisten Wissenschaftler sehr nervös. An sich halten sie ihren Prototypen schon fast für ein Produkt (das ist ein Irrtum), aber im Augenblick der ersten Verkaufsanfragen merken Wissenschaftler nun doch, dass ein Prototyp absolut noch kein Serienprodukt ist. Bisher wollten sie mit ihrem Prototyp glänzen und genossen Bewunderung für ihre Vorführung, aber im Augenblick einer echten Preisanfrage eines ernsthaft interessierten Kunden fällt ihnen siedend heiß ein, dass ihr Neues zwar schon »ganz gut« ist, aber noch so sehr »zusammengestöpselt« oder »mit der heißen Nadel gestrickt«, sodass sie es eigentlich in einem so elenden Zustand noch gar nicht an Fremde herausgeben würden. Da käme es nur zu Beschwerden!
Genau jetzt bekommen sie fast Angst, dass plötzlich zehn oder hundert Kunden dastehen könnten, die ihren Prototypen kaufen wollen. Sie geraten in Verlegenheit. Was tun sie denn dann? Sie haben meist noch gar nicht an eine Mengenproduktion oder an eine organisierte Serviceerbringung gedacht. Wer produziert denn? Wer leistet die Services? Gibt es genügend Fachleute? Woher kommen die? Wissenschaftler stellen sich vor, dass es ihnen ähnlich geht wie der Firma Apple, die am Anfang einmal zehn neue iPads für eine Messe gebaut hat, und plötzlich wollen 100 Millionen Leute auch eines. Was macht man dann?
Ich habe das Folgende so oft gehört: »Hey, Gunter, du redest uns um Kopf und Kragen, wenn du das Neue so protzig anpreist. Stell dir vor, sie kaufen es jetzt alle …« – Ich: »Das ist ein Luxusproblem! Habt ihr je gehört oder gesehen, dass plötzlich alle etwas noch Unfertiges kaufen wollen?« – »Aber es kann doch sein.« Ungelogen, diese Dialoge habe ich bei jeder – wirklich bei jeder – Neuerung geführt. Aber noch nie ist es mir passiert, dass die Kunden in Scharen kamen und es vom Fleck weg kaufen wollten. Nein, zuerst passt ein Produkt noch nicht in die Realität der OpenMinds. Sie fragen nach Nutzen, Kompatibilität, Garantien, Preisen und Zusatzfunktionen, die in der Regel noch eingebaut werden müssen.
Der Erfinder zeigt auf Messen stolz sein Neues. Sein Ruhm wird widerhallen. Aber er hat insgeheim Angst, man könnte tatsächlich sofort kaufen wollen, was er zeigt. Er fürchtet sich vor Kunden, solange sein Produkt nicht perfekt ist.
Erfinder versuchen also auf Messen, ihren Ruhm zu mehren. Dazu darf es nicht auffallen, dass noch nicht alles produktreif ist. Außerdem fürchtet er sich vor dem Vorwurf, es sei »noch heiße Luft«. Er stellt also alles möglichst perfekt dar. Damit aber läuft er womöglich Gefahr, dass ein Kunde gleich kaufen will, so denkt er. Und er
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