Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
»Uschis Frikadellenschmiede« treffen. Die Messekunden stehen ja auch nicht in der Realität! Das erwarten sie selbstverständlich vom Innovator, warum sonst sollten sie sich beraten lassen? Und so kommt es, dass auf den Messen lauter Parteien von fast Ahnungslosen miteinander über sehr einfache Weltmodelle sprechen. »Diese Software spart 15 Prozent Benzin.« – »Aha, und wenn der Benzinpreis steigt, spare ich mehr. Toll!«
Theoretisch liest es sich so einfach, wann sich Kunden einer Innovation gegenüber aufgeschlossen zeigen:
Das Neue muss insgesamt vorteilhaft sein – schöner, billiger, nützlicher und so weiter.
Es muss kompatibel sein, sich also ins Bisherige einfügen können.
Es soll einfach sein – zu bedienen, zu verstehen, zu reinigen, zu nutzen und so weiter.
Es muss leicht auszuprobieren sein. (Das ist bei einer neuen Teesorte so, nicht aber bei einer neuen Fußbodenheizung.)
Der Erfolg des Neuen sollte sichtbar sein (dann verbreitet sich eine Innovation sehr schnell, zum Beispiel, wenn die Wäsche urplötzlich um starke 21 Prozent weißer ist – Sie kennen sich da aus, denke ich).
Viele Erfinder sind schon glücklich, wenn das Neue nur ein paar Vorteile bringt. Um das Neue aber kompatibel zu machen, müssen sie viel von der Realität (nicht zu viel) verstehen. Um etwas einfach zu entwickeln, muss man sehr viele Nutzer, Kunden und Menschen kennen und ihren Wunsch nach Einfachheit warmherzig schätzen. Und was ist der Erfolg des Neuen? »Das Sparpotenzial!«, jubelt der Controller. »Aber ich muss damit arbeiten!«, schimpft der Fuhrparkleiter. Die Theorie ist da viel zu naiv. Die Realität kennt kaum jemand. Und letztlich muss der Innovator (wer sonst?) dieses erfolgreiche günstige Maß an Realität kennen, sonst scheitert er wohl. Für Wissenschaftler ist es unendlich schwer, sich dieses Reale »da draußen anzueignen«. Damit Sie das besser verstehen, habe ich die vielen Extras bei der Tourenplanung aufgezählt. Wer weiß das alles? Woher bekommt man diese Erfahrung?
Ganz klar: Durch eigenes Handanlegen ohne jede Aussicht auf wissenschaftliche Meriten.
Damit habe ich erklärt, dass es sehr schwer ist, das Neue vernünftig mitten in die Realität hineinzusetzen. Es bedeutet viel Arbeit und ist nicht wissenschaftlich. Damit haben wir aber nur verstanden, dass die Realitätsferne dann ein Innovationshindernis ist, wenn man sie wirklich erkannt hat und beseitigen will. Jetzt kommt das echte Problem:
In der Regel glauben Forscher, dass sie bereits genug von der Realität wissen. Deshalb sind die Protagonisten einer neuen Welle auch immer so furchtbar sicher, dass sich die Welt sofort ändern muss. Besonders Wissenschaftler und Tüftler sind ungehalten über unsere Fragen:
»Ist es besser?« – »Langfristig schon, man muss Geduld haben.« (Haben wir normalen Menschen ja nicht.)
»Ist es kompatibel?« – »Das Alte wird ganz wegkommen, das Neue muss deshalb nicht kompatibel sein. Ihr müsst alle nur vollkommen umdenken.«
»Ist es einfach?« – »Ich arbeite damit schon lange. Ich selbst kann es jetzt sehr leicht bedienen, man muss nur die noch vorhandenen kleinen Macken kennen.«
»Ist es leicht auszuprobieren?« – »Ja.« – »Muss ich dazu programmieren können?« – »Ja, natürlich, können Sie das etwa nicht?«
»Sieht man den Erfolg?« – »Implizit schon.«
In solchen Kurzdialogen spiegelt sich immer dasselbe wider, nämlich das Chasma der Innovation, hier zwischen dem Erfinder und den OpenMinds. Die Erfinder sehen und verstehen die Innovationshindernisse nicht. Sie hören nicht zu, wenn man sie mit ihnen diskutieren will. Sie sind meist ärgerlich, weil wir als Kunden den Bewusstseinswandel, den sie für erforderlich halten, nicht mitmachen wollen. Sie können sich einfach nicht erklären, warum Menschen fast reflexartig negativ auf Neues reagieren.
Der Begriff des Elfenbeinturms ist ein Gleichnis für die Reinheit und die Unberührtheit des wissenschaftlichen Arbeitens. Hier wird an den heiligen Prinzipien und an der klaren Wahrheit geforscht, die nicht durch das bunte Leben da draußen getrübt wird. Wer aus dem Elfenbeinturm hinausschaut, erblickt die Welt inmitten von Unreinheit, Unvernunftund Sünde. Von außen gesehen erscheint der Elfenbeinturm wie Realitätsferne. Es ist gut, wenn Wissenschaftler beide Perspektiven verstehen und auch mit beiden Beinen in dieser Welt leben. Oft ist aber der Elfenbeinturm im Kopf des Erfinders. Der fordert dann aus diesem Turm heraus
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