Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
genau gemessen werden (können). Wer weiß schon, wie lange ein Erfinder am Feierabend an seiner Idee gewerkelt hat? Soll er das dokumentieren? Wöchentlich seinen Fortschritt melden? Die Innovatoren reagieren vollkommen allergisch auf solche Beraterfragen. »Die gehen an der chaotischen Innovationspraxis vollkommen vorbei!« Sie schäumen förmlich auf.
Das Management aber findet die Fragen an sich absolut legitim. Alles soll und muss ja gemanagt werden. Das ist ja die ureigene Forderungdes Managements selbst. Es wird also zugestehen, dass es im Ideal jede der gestellten Fragen mit
Ja
beantworten können
müsste
. Es windet sich aber, weil Innovationen sehr schwer zu messen sind. Wie soll es zum Beispiel eine immer aktuelle Liste der innovativen Mitarbeiter führen? Wer ist denn innovativ? Welche Kriterien gibt es dafür? Um wirklich alle dieser Fragen mit
Ja
beantworten zu können, muss das Management Monate in Meetings verbringen.
Die Beratungsmethoden zielen noch weitergehender darauf ab, die Fragen nicht mit Ja oder Nein zu beantworten, sondern graduell. Man stellt zum Beispiel fest:
Level 0: Die Problematik der Frage ist nicht bekannt.
Level 1: Die Problematik der Frage ist geläufig, es gibt aber keine Aktionen.
Level 2: Es gibt Überlegungen zu konkreten Aktionen.
Level 3: Es gibt erste praktische Ansätze zur Problematik der Frage.
Level 4: Die volle Umsetzung ist in Arbeit.
Level 5: In etwa: Ja.
Level 6: Wirklich gute Umsetzung!
Level 7: Die Umsetzung ist mit der Umsetzung der anderen Problematiken verzahnt (»integrated«).
Level 8: Die Gesamtumsetzung ist »World Class«.
Jetzt werden alle habhaften Personen im Unternehmen befragt, wie weit das Unternehmen in Bezug auf Innovation ist. Gleichzeitig befragt man wichtige Personen, auf welchem Level das Unternehmen sein sollte. Wo sollte es sein? Das Management findet ja selbst, dass alles gemanagt werden müsste, also wird es dazu neigen, das Erreichen von Level 5 oder 6 und bei wirklich wichtigen Fragen Level 7 oder gar 8 zu erreichen (Level 8 klingt außerirdisch, wäre aber bei IBM, wo ich gearbeitet habe, nicht als unwirklich abgetan worden). Wo aber steht das Unternehmen? Meistens zwischen 2 und 3.
Das Endergebnis sieht so aus, ein nüchterner Excel-Netzchart: Die Linie innen zeigt die Werte des Ist-Zustands, sie ist knallrot. Außen ist der gewünschte Soll-Zustand in Grün aufgezeichnet. Bei der Farbwahl fällt mir ein, dass ich einmal eine solche Studie für die weltweite IBM Corporation leitete und mein internationales Team mehrere Stundendiskutierte, welche Farben die beiden Kurven haben sollten. Im Normalfall bedeutet Rot = Schlecht und Grün = Gut, was in Excel auch so voreingestellt ist. Ich fand, es würde doch passen! Wir wollen die Probleme beim Namen nennen! Da zuckten die meisten im Team zurück, und gewöhnlich gut Informierte wussten, dass ich richtig »Strom« bekommen würde, wenn ich es wagen würde, die Innenkurve in Rot zu lassen. Okay, innen war es grün, außen blau. Das ging.
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Excel-Netzchart
Können Sie sich vorstellen, was jetzt passiert? Man ernennt, wenn es gerade keinen gibt, schnell einen VP Innovation, dann ist schon einmal eine Frage auf Level 6 beantwortbar. Der fordert, an den Boss zu berichten – wieder ein Punkt auf gutem Level. Nun werden die wichtigsten Innovatoren der ganzen Firma bekannt gemacht, sie müssen Lebensbeschreibungen abliefern und Erfolgsstorys verfassen – unter Aufsicht eines Design-Unternehmens, das alles auch bei Facebook postet. Die Innovatoren werden aufgefordert, zu beweisen, dass sie »Lean Innovation« betreiben, also nicht zu viel Geld ausgeben. Sie sollen nachweisen, dass sie schon viel Profit erzielt haben, was sie sehr empört, weil sie ja noch mittendrin stecken. Diese Aktionen münden in Kaskadenvon Meetings. Stets müssen die wichtigsten Innovatoren »Input geben«, weil es ja sonst keiner kann. Sie verwenden jetzt einen hohen Prozentanteil ihrer Arbeit mit dem Dokumentieren und Beantworten. Sie sind heilig böse über den zusätzlichen Stress, der ihnen jetzt über »100 Prozent Mist« beschert. Dann kommt gleich wieder eine Anfrage: »Sie haben in der Tabelle angegeben, das Projekt X sei gescheitert und schon beendet beziehungsweise beerdigt. Das ist schlecht, weil das die durchschnittlichen Werte insgesamt runterzieht. Bitte tragen Sie als Status »ongoing« ein. Das stimmt zwar nicht, aber wir können den Beratern einfach nicht offenlegen, dass so sehr
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