Das Neue und seine Feinde - wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen
viel scheitert.«
Sehen Sie das bitte nicht als Satire an, es ist für einen Unternehmensinnovator bitteres »real life«. Er weiß, dass die schwierigeren Fragen gar nicht angefasst werden. Es wird wieder nur an den Symptomen gedoktert werden. Keiner wird ihm aufgrund der roten Innenkurve Ressourcen geben und ihm helfen. Es wird auch dieses Jahr keine Karrierepfade und damit eine anständige Beförderung geben. Und er selbst muss jetzt zusätzlich zu seinen »100 Prozent Mist« noch an diversen Erfolgsberichten mitarbeiten. »Ich werde behindert!«, brüllt er, aber es ist wieder nur das Immunsystem, das eine neue Resistenz erfunden hat.
How to innovate – if you must
Die Berater quälen das Unternehmen »von oben«. Von unten kommen meist unternehmensinterne, aber auch externe Trainer und Coaches und treiben nun auf Mitarbeiterebene zu mehr Innovation an. Sie leiten Workshops mit immer wiederkehrenden Themen:
Die Workshops beginnen mit der Erwartung, dass aus der Mitte der Teilnehmer großartige Ideen hervorgehen, die glänzende Erfolge in der Abteilung oder gar im Unternehmen feiern werden. Dieses Ziel wird wie das bekannte Ziel, »Nummer eins am Markt zu werden«, als absolut erreichbar hingestellt. Für Zweifler und Nörgler gibt es ein gewisses Instrumentarium von Kreativitätsübungen, bei denen es eine überraschende Lösung gibt, an die normalerweise keiner denkt. Dabei bekommen die Teilnehmer immer wieder dieselben Trickbilder gezeigt,auf denen zum Beispiel manche eine junge Frau und andere eine alte sehen. Man muss eine Ravioli-Dose von oben anschauen, dann sieht man einen Kreis. Dann schaut man sie von der Seite an, es ist ein Rechteck! Oh Wunder, man kann Dinge von mehreren Seiten ansehen, da erscheinen sie jeweils anders. Ich habe in meinem Leben so sehr viele solcher Sessions mitgemacht, dass ich glaube, es gibt nur ungefähr 100 gute Beispiele, bei denen ein Neuling »Aha! Wow!« ausruft und den Coach bewundert, dass er ihn so sehr inspirieren kann.
Anmerkung aus der Lehre der Mathematik: Das Wichtigste im Studium ist es, ein paar hundert Mal ganz allein nach hartem Nachdenken bei schweren Übungsaufgaben ein »Aha!« zu erzielen. Das kostet ein paar Tausend Stunden. Wenn Studenten nur nachdenken und sich dann die Lösung von anderen Starstudenten erklären lassen, rufen sie vielleicht auch »Aha!«, aber es ist nie ihr eigenes Aha. Diese Studenten üben nicht, sie verstehen nur im Nachhinein. Sie scheitern regelmäßig. Die Übungen der Berater stoßen uns in etwa ähnlich auf ein fremdes, nicht selbst erzeugtes Aha, das nur erhellt – aber niemand
kann
jetzt etwas.
Deshalb, obwohl niemand an Fähigkeiten gewonnen hat, sind die Teilnehmer der Beraterworkshops nach diesen Erhellungsübungen alle munter und aufgekratzt und auch ehrgeizig geworden. Nun wird ihnen (fälschlicherweise) plötzlich klar, dass es doch
möglich
ist, mit einer tollen Idee alles herumzureißen.
Psychologisch gesehen sieht das alles so aus, als wollte man absichtlich ein Utopiesyndrom erzeugen. Man setzt sich unmögliche Ziele (»Nummer eins werden« oder »Wir führen eine absolut glückliche Ehe, was sonst keiner schafft« oder »Ich will schön sein«) und versucht, sie zu erreichen. Dabei gibt es eine wichtige Regel oder besser ein großes Tabu: Die Erreichbarkeit des Ziels darf nie mehr infrage gestellt werden. Nun, ans Werk! Jetzt sind alle mit Feuereifer dabei …
Die ganze Zeremonie läuft in der Regel so ab:
Innovation ist wichtig, Wandel bietet immer eine große Chance für den Besseren
: Der Chef oder die Moderatorin (es sind sehr oft enthusiasmisierende Frauen in diesem Beruf) halten eine Ansprache, dass Innovation sehr wichtig ist und eine Chance eröffnet. Derdadurch ausgelöste Wandel sollte immer Freude auslösen und als Chance begriffen werden. Wandel ist die Regel geworden. Wandel ist unabwendbar. Das hysterische Prinzip hat die Macht. Man muss Wandel stets begrüßen, weil er zwar Probleme mit sich bringt, aber insgesamt die Welt verbessert.
Jeder kann einen wichtigen Beitrag leisten
: Wandel ist ohne die einzelnen Mitarbeiter kaum denkbar. Sie sind die Stütze der Bewegung und ihr Rückgrat. Jeder ist aufgerufen, seinen Beitrag zu leisten. Jeder Beitrag ist wichtig. Keine Idee wird gleich verworfen. Jeder soll zu Wort kommen, jeder muss sich beteiligen. Die Summe auch kleiner Ideen wird einen unschätzbaren Wert für das Unternehmen schaffen.
Gute Ideen müssen nicht viel Geld kosten
: Die wirklich
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