Das Nibelungenlied
Ostfranken · durch Schwalefelde ritten,
Da konnte man sie kennen · an den herrlichen Sitten,
Die Fürsten und die Freunde · die Helden lobesam.
An dem zwölften Morgen · der König an die Donau kam.
Da ritt von Tronje Hagen · den andern all zuvor:
Er hielt den Nibelungen · zumal den Mut empor.
Bald sprang der kühne Degen · nieder auf den Strand,
Wo er sein Roß in Eile · fest an einem Baume band.
Die Flut war ausgetreten · die Schifflein verborgen:
Die Nibelungen kamen · da in große Sorgen,
Wie sie hinüber sollten · das Wasser war zu breit.
Da schwang sich zur Erde · mancher Ritter allbereit.
»Übel« sprach da Hagen · »mag dir wohl hier geschehn,
König an dem Rheine · du magst es selber sehn:
Das Wasser ist ergossen · zu stark ist seine Flut:
Ich fürchte, wir verlieren · noch heute manchen Recken gut.«
»Hagen, was verweist ihr mir?« · sprach der König hehr,
»Um eurer Hofzucht willen · erschreckt uns nicht noch mehr.
Ihr sollt die Furt uns suchen · hinüber an das Land,
Daß wir von hinnen bringen · beides, Ross' und Gewand.«
»Mir ist ja noch,« sprach Hagen · »mein Leben nicht so leid,
Daß ich mich möcht' ertränken · in diesen Wellen breit:
Erst soll von meinen Händen · ersterben mancher Mann
In König Etzels Landen · wozu ich gute Lust gewann.
»Bleibet bei dem Wasser · ihr stolzen Ritter gut.
So geh' ich und suche · die Fergen bei der Flut,
Die uns hinüber bringen · in Gelfratens Land.«
Da nahm der kühne Hagen · seinen festen Schildesrand.
Er war wohl bewaffnet · den Schild er bei sich trug;
Sein Helm war aufgebunden · und glänzte hell genug.
Überm Harnisch führt' er · eine breite Waffe mit,
Die an den beiden Schärfen · aufs allergrimmigste schnitt.
Er suchte hin und wieder · nach einem Schiffersmann.
Da hört' er Wasser rauschen · zu lauschen hub er an.
In einem schönen Brunnen · tat das manch weises Weib:
Die gedachten da im Bade · sich zu kühlen den Leib.
Hagen ward ihrer inne · da schlich er leis heran;
Sie eilten schnell von hinnen · als sie den Helden sahn.
Daß sie ihm entrannen · des freuten sie sich sehr.
Da nahm er ihre Kleider · und schadet' ihnen nicht mehr.
Da sprach das eine Meerweib · Hadburg war sie genannt:
»Hagen, edler Ritter · wir machen euch bekannt,
Wenn ihr uns, kühner Degen · die Kleider wiedergebt,
Was ihr auf dieser Reise · bei den Heunen erlebt.«
Sie schwammen wie die Vögel · schwebend auf der Flut.
Da daucht' ihn ihr Wissen · von den Dingen gut:
So glaubt' er um so lieber · was sie ihm wollten sagen.
Sie beschieden ihn darüber · was er begann sie zu fragen.
Sie sprach: »Ihr mögt wohl reiten · in König Etzels Land:
Ich setz' euch meine Treue · dafür zum Unterpfand:
Niemals fuhren Helden · noch in ein fremdes Reich
Zu so hohen Ehren · in Wahrheit, ich sag' es euch.«
Der Rede war da Hagen · im Herzen froh und hehr;
Die Kleider gab er ihnen · und säumte sich nicht mehr.
Als sie umgezogen · ihr wunderbar Gewand,
Vernahm er erst die Wahrheit · von der Fahrt in Etzels Land.
Da sprach das andre Meerweib · mit Namen Siegelind:
»Ich will dich warnen, Hagen · Aldrianens Kind.
Meine Muhme hat dich · der Kleider halb belogen:
Und kommst du zu den Heunen · so bist du übel betrogen.
»Wieder umzukehren · wohl war' es an der Zeit,
Dieweil ihr kühnen Helden · also geladen seid,
Daß ihr müßt ersterben · in der Heunen Land:
Wer da hinreitet · der hat den Tod an der Hand.«
Da sprach aber Hagen · »Ihr trügt mich ohne Not:
Wie sollte das sich fügen · daß wir alle tot
Blieben bei dem Hofgelag' · durch jemandes Groll?«
Da sagten sie dem Degen · die Märe deutlich und voll.
Da sprach die eine wieder · »Es muß nun so geschehn,
Keiner wird von euch allen · die Heimat wiedersehn
Als der Kaplan des Königs · das ist uns wohlbekannt,
Der kommt geborgen wieder · heim in König Gunthers Land.«
Ingrimmen Mutes · sprach der kühne Hagen:
»Das ließen meine Herren · schwerlich sich sagen,
Wir verlören bei den Heunen · Leben all und Leib;
Nun zeig' uns übers Wasser · allerweisestes Weib.«
Sie sprach: »Willst du nicht anders · und soll die Fahrt geschehn,
So siehst du überm Wasser · eine Herberge stehn:
Darin ist eine Ferge · und sonst nicht nah noch fern.«
Weiter nachzufragen · des begab er nun sich gern.
Dem unmutsvollen Recken · rief noch die eine nach:
»Nun wartet, Herr Hagen · euch ist auch gar zu jach;
Vernehmt noch erst die Kunde · wie ihr kommt durchs
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