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Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence

Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence

Titel: Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Robertson
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Abendessen ihre Runden gedreht hatte. Ihr Vater witzelte früher immer, dass Aishe entweder rannte oder bewusstlos war. Dazwischen gab es nichts.
    Er starb am Tag vor ihrem elften Geburtstag. Er hat mich nur als dürres kleines Ding erlebt, dachte sie. Dabei habe ich nur ein Jahr später angefangen, mich zu entwickeln.
    Mit dreizehn war Aishe so geheimnisvoll und aufreizend wie die junge Elizabeth Taylor. Und hatte plötzlich eine ganz andere Wirkung auf die Freunde ihrer älteren Brüder. Einige von ihnen waren wegen der Aufmerksamkeit, die sie ihr zollten, nicht länger willkommen. Jetzt nahmen Aishes Brüder, Anselo eingeschlossen, ihre Rolle als Haushaltsvorstände sehr ernst– nicht nur, weil Onkel Jenico ihnen klargemacht hatte, dass er dies von ihnen erwartete. Die mittlerweile frühreife und besserwisserische Aishe protestierte, das sei altmodisches, sexistisches Geschwafel und sie und ihre jüngere Schwester Jenepher bräuchten Aufpasser genauso wenig wie Korsetts oder Riechsalz. Da nahm Onkel Jenico sie beiseite und befahl ihr leise, sich zu fügen und ihren Brüdern die Gelegenheit zu geben, sich wie Männer zu verhalten. Weil ein leiser Onkel Jenico ungleich Furcht einflößender war als ein Onkel Jenico mit erhobener Stimme, tat Aishe, was von ihr verlangt wurde.
    Aber dann hab’ ich die Chance ergriffen, dachte Aishe jetzt– und so wenig Zeit wie möglich zu Hause verbracht, ohne in eine Pflegefamilie zu kommen. Und schließlich bin ich für immer weg.
    An ihrem siebzehnten Geburtstag war Aishe auf dem Kontinent gelandet, ausgestattet mit nur 50Pfund und dem Wissen, mit ihrem Aussehen alles bekommen zu können, wonach sie verlangte. Schließlich hatte sie die letzten vier Jahre damit verbracht, dies zu beweisen– und zu entdecken, dass es klüger war, manche Dinge eher zu verlangen als andere. Ihr Bedürfnis zu rennen hatte sie in eine generelle Rastlosigkeit sublimiert. Nie war sie länger als ein paar Monate an einem Ort, ganz gleich, wer sie anflehte zu bleiben.
    Jonas hätte sie vielleicht angefleht zu bleiben. Wenn er von seinem Sohn gewusst hätte…
    Stirnrunzelnd betrachtete Aishe ihr Spiegelbild. Da sie mit neunzehn schwanger geworden war, hatte sie sich an die übliche Reaktion der Leute gewöhnt, wenn sie erfuhren, wie alt Gulliver war. » Nein«, sagten sie immer. » Komm schon! Du kannst doch unmöglich ein Kind in seinem Alter haben!«
    Zumindest hatten sie das früher immer gesagt. In letzter Zeit hörte sie es nicht mehr so häufig. Lag das daran, dass sie langsam alt wurde? Immerhin war sie erst dreiunddreißig, also konnte von ›alt‹ keine Rede sein. Andererseits musste sie zugeben, dass sie auch nicht mehr jung war. Gulliver war vierzehn. In drei, vier Jahren war er vielleicht an der Reihe auszuziehen.
    Schlecht gelaunt betrat sie das Tierheim, wo sie drei Nachmittage in der Woche ehrenamtlich arbeitete– warum, wusste sie nicht so genau. Vielleicht weil es ihr das Gefühl gab, dass so etwas wie Sicherheit möglich war, wenn sie Lebewesen aus Gefahren befreite und in Sicherheit brachte. Etwas anderes fiel ihr nicht ein. Ich kann zwar nicht verhindern, dass sie krank oder überfahren werden, aber immerhin dafür sorgen, dass sie nicht mehr bei Menschen sind, die ihnen wehtun. Oder sie aussetzen.
    Sie wusste, dass ihr Mangel an Geduld mit einigen, die ein Tier bei sich aufnehmen wollten, der Grund dafür war, dass sie stillschweigend von der Aufnahme ins Tiertrainingsteam versetzt worden war. Dort wurden die Tiere abgerichtet– meist Hunde, aber hin und wieder auch eine Katze oder ein Vogel–, damit sie in dem Wissen vermittelt werden konnten, dass sie nicht bissen, Schuhe bekackten oder auf Armenisch fluchten.
    Aishe hatte sich als begabte Trainerin erwiesen, sie wusste jedoch, dass Nico, der Tierheimleiter, sie im Auge behielt. Er hatte ihr bereits gesagt, dass er sie nicht– wie er es ausdrückte– für einen Teamplayer hielt. Nur weil sie ihn mochte, hatte sie sich die Antwort verkniffen, die sie dem Letzten gegeben hatte, der ihr erklärte, im Wort ›Teamplayer‹ gebe es kein I für Ich. » Nein«, hatte Aishe zu Mr. Warren, dem stellvertretenden Direktor der Highschool gesagt, » dafür aber in ›Scheiß drauf‹!«
    Bis heute wusste Aishe nicht, was Onkel Jenico getan hatte, damit sie auf der Schule bleiben konnte.
    Nicos Büro lag direkt hinter der Aufnahme, sodass er das Kommen und Gehen gut im Blick hatte. Da aber auch alle ihn sehen konnten, genügte oft ein

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