Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
einziger Blick von ihm, dass jemand, der auf Ärger aus war– zum Beispiel jemand, der meinte, sein Tier sei ungerechtfertigt beschlagnahmt worden– noch einmal in sich ging und gewöhnlich wieder abdrehte und nach Hause ging.
Nico war in einem der raueren Viertel von Oakland aufgewachsen, der Stadt gegenüber von San Francisco, die wahrscheinlich vor allem als Gründungsort der Hell’s Angels bekannt ist. Er sah einem Hell’s Angel gar nicht so unähnlich: über einen Meter achtzig groß, Schultern wie ein Wrestler, Arme wie Schinken, einen Bauch wie eine Waschtrommel und eine schwarze Matte, die er zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Sein Körper war mit Tätowierungen übersät, deren blaue, verschwommene Ränder darauf hinwiesen, dass sie nicht in einem professionellen Studio gestochen worden waren.
Trotz seines Aussehens war Nico nie in Schwierigkeiten geraten. Allerdings hatte er viel davon zu sehen bekommen. Er war ausgebildeter Sozialarbeiter, hatte sich aber für die Arbeit mit Tieren entschieden, weil er einen klaren Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt und Tierquälerei sah. Er glaubte fest daran, dass man Gewalteskalationen vorbeugen konnte, wenn man Tierquäler dingfest machte. Schnappte man sich die Bastarde, die ihre Kippen auf Welpen ausdrückten, hatte man mit einem Schlag auch die, die ein weinendes Kleinkind quer durchs Zimmer fegten oder ihrer Freundin die Rippen brachen, weil sie ein Steak hatte anbrennen lassen. Nico hatte solche Typen kennengelernt, und er war sich immer noch nicht sicher, ob Strafverfolgung die beste Antwort auf ihre Taten war. Manchmal träumte er davon, mit diesen Typen allein zu sein. Nur er– und Mack, der Pitbull, den er gerettet und ausgebildet hatte. Mack war halb tot gewesen, als Nico ihn fand und gesund pflegte. Jetzt würde der Hund alles für ihn tun. Buchstäblich alles…
Allerdings blieb den Typen, deren Tiere wegen Tierquälerei oder Vernachlässigung abgeholt wurden, jeglicher Protest im Hals stecken, sobald sie Nico auch nur sahen. Seine Anwesenheit hatte den gleichen Effekt wie das tiefe Knurren eines großen Raubtiers: Es umging ihr Großhirn und fuhr ihnen direkt ins archaische Angstzentrum, das bei den meisten in unmittelbarer Nähe des Blasenmuskels zu sitzen schien. Daher hatte Nico seinen Pitbull bis jetzt nicht von der Kette lassen müssen.
Im Grunde gab es nur sehr wenige Menschen, mit denen er nicht allein klarkam. Genauer gesagt nur einen einzigen. Und der erschien gerade, mit einer Miene so bedrohlich wie eine tickende Zeitbombe: Aishe Herne.
Im Grunde kam Nico schon mit ihr klar. Wenn er Vorschläge machte, hörte sie normalerweise zu. Als er sie von der Aufnahme zu den Verhaltenstrainern versetzte, hatte sie zwar die Augen verdreht, aber nicht widersprochen. Nein, Nico wusste, dass er mit ihr umgehen konnte. Dennoch machte sie ihn nervöser als jeder Mensch, den er bislang kennengelernt hatte (mit Ausnahme eines echten Psychopathen und eines Gangmitglieds auf Meth, das mit einer Kettensäge ins Nachbarhaus eingedrungen war). Nico wusste nicht, was genau an ihr ihn so nervös machte. Vielleicht ihre direkte Art? Aus Aishes Mund kamen Dinge, die bei anderen niemals den Filter allgemeinen Anstands durchdrungen hätten, Dinge, die Gespräche sprengten wie zischende Tränengasdosen zerberstende Glasscheiben.
Nicht, dass sie mit jedem so redete. Allgemein war sie höflich zu denen, die sie respektierte. Wie Nico, oder Barbara, die Cheftrainerin. Und… nein, das war’s schon.
Nico seufzte. Aishe war eine gute und hingebungsvolle Ehrenamtliche– und die waren rar. Aber sie konnte kaum mit anderen zusammenarbeiten. Zwei ebenso gute Ehrenamtliche waren wegen Aishe gegangen.
Jetzt näherte sich Aishe der Aufnahme und Nico sah, dass die beiden Frauen dort einen Blick wechselten und die Schultern strafften, um sich zu wappnen. Er trat aus seinem Büro.
» Aishe«, rief er.
Sie blieb abrupt stehen und wirbelte herum. » Was ist?«, fauchte sie.
Nico zählte im Stillen bis drei und winkte sie dann lächelnd zu sich.
» Ich wollte dir nur sagen, dass Frankfurters Adoption über die Bühne ist. Seine neue Besitzerin holt ihn um vier Uhr ab.«
Aishe schürzte die Lippen. » Die Frau will ihn in Rusty Wallace umbenennen. Was ist das denn für ein Scheißname?«
» Rusty Wallace war ein berühmter Stockcar-Rennfahrer. Sie will Frankfurter nach ihm benennen, weil er schnell im Start ist, aber ’ne Menge kaputtmacht.«
» Das soll wohl ein
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