Das Niebelungenlied
sein sollte, daß wir sie in der einen oder anderen Weise unter uns aufteilen würden. Allerdings würde der Verlag sich weiterhin an mich halten, falls Probleme entstehen sollten – eine Abmachung, die sich später als bedeutsamer erweisen sollte, als zunächst zu vermuten war. Alles Weitere galt als Sache des Auftragnehmers und erschien nicht in der formalen Abmachung. Damit hatten wir in zweierlei Hinsicht freie Hand: Wir konnten die Arbeit aufteilen, wie es uns passend erschien, und wir konnten unabhängig davon nach unserem Ermessen über das Honorar verfügen, wenn es fällig würde.
Zunächst also war ein Modus der gemeinsamen Arbeit festzulegen – keine ganz einfache Sache für zwei ziemlich unterschiedliche Temperamente mit keineswegs gleichen Gewohnheiten und auch ungleicher Beteiligungsart. Aber daß es eine gemeinsame Unternehmung sein würde, das war unser Verständnis von Anfang an, nicht nur wegen der Absprache mit dem Verlag. Die äußeren Bedingungen für das joint venture waren nach Abschluß des Studiums nicht mehr so ortsfest wie vorher, aber wir sahen uns häufig genug und vornehmlich in Leipzig, um den für die Verständigung nötigen Kontakt zu haben.
Die Aufteilung der Arbeit ging von zwei gemeinsamen Annahmen aus: Wir wollten uns beide mit allen Teilen gleichermaßenbefassen, es sollte also keine Aufteilung nach Strophen, Kapiteln (Aventiuren) oder Abschnitten geben, und der abschließende Text sollte von beiden gebilligt und verabschiedet werden. Praktisch ergaben sich drei Arbeitsstufen: ein Entwurf, eine Überarbeitung und die Endfassung. Der Entwurf stammte von Johnson, die Überarbeitung von mir, die Endfassung war das Ergebnis gemeinsamer Besprechungen. Das klingt symmetrischer, als es tatsächlich war, aber es bedeutete doch, daß wir einen wirklich gemeinsamen Text erarbeiteten.
Die Übersetzung entstand in mehreren Portionen, die jeweils mit entsprechenden Kommentaren und Korrekturvorschlägen zwischen uns hin- und hergingen. Anmerkungen verschiedener Art wurden in die erste Fassung, die nach Johnsons Art halbseitig geschrieben war, eingetragen und dann umgesetzt oder verworfen. Der Arbeitsrhythmus war zügig und zielstrebig. Dafür sorgte die strikte und auf einen absehbaren Abschluß zielende Arbeitsweise Johnsons, nicht zuletzt wegen der verlagsüblichen Zahlungsmodalitäten: der Hauptteil des Honorars wurde fällig bei Abgabe des Manuskripts, ein Motiv, das wir im Auge zu behalten hatten, obwohl wir durch meinen Sanatoriumsaufenthalt bei weiterlaufendem Assistentengehalt de facto einigen Spielraum hatten.
Wir hatten uns nun also für einige Zeit ziemlich ernsthaft auf das Nibelungenlied einzustellen, nicht ausschließlich, aber gründlich – eine eigenartige Herausforderung. Denn zur mittelhochdeutschen Literatur hatten wir beide, wenn auch auf verschiedene Weise, eine höfliche, gleichwohl eher distanzierte Beziehung, verglichen mit der etwa zu Brecht, Thomas Mann oder Kafka. Und das Nibelungenlied war auf besondere Weise befremdlich. Denn jenseits des germanistischen Bildungswissens und der Einübung in die literaturgeschichtlicheLandkarte bestand da ein Verhältnis interessierter Widerständigkeit, in dem Respekt und Verwunderung gemischt waren mit dem Mißtrauen gegenüber der Reputation zentraler Motive dieses Gedichtes in der jüngsten Geschichte. Das galt nicht nur für die in Wahrheit irrige Rede von der Nibelungentreue und Görings fatalen Vergleich der Situation des besetzten Stalingrad mit der der belagerten Burgunder. Es betraf vielmehr insgesamt das ungebrochen Martialische der Helden und ihrer Taten. Diese Einstellung ebenso wie ihre allmähliche Modifizierung war nicht das Ergebnis von Verabredungen oder gar vorbereitenden Studien, die wir der Übersetzung gewidmet hätten. Die Einstimmung auf den Tenor des Ganzen wie auch das Grübeln über Problemen im Detail war vielmehr ein fortlaufender Prozeß, dessen Ergebnisse direkt in die Arbeit einflossen und nicht selten buchstäblich als Marginalien ins Typoskript geschrieben wurden.
Verständigen mußten wir uns ja über ziemlich unterschiedliche Dinge: über die Wiedergabe des höfischen Wertesystems aus der Zeit der letzten Fassung des Epos, einen immer wieder zitierten Wertekanon, der die älteren Schichten der Überlieferung überlagert und eigentlich nicht zur archaischen Weltsicht der beiden ursprünglichen Sagenstränge paßt; über die Tonart und den Rhythmus der Darstellung; über die Behandlung der
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