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Das Niebelungenlied

Das Niebelungenlied

Titel: Das Niebelungenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Bierwisch
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gewonnenen Erkenntnisse benutzt.
    Uwe Johnson

DAS NIBELUNGENLIED
GESCHICHTE EINER ÜBERSETZUNG
    Die hier abgedruckte, neuhochdeutsche Prosafassung des Nibelungenliedes ist bisher nur unzulänglich eingeordnet unter die Arbeiten Uwe Johnsons. Das hat verschiedene Gründe. Sie liegen in der Entstehungsgeschichte des Textes und vor allem in der höchst merkwürdigen Druckgeschichte. Die Umstände dieser Geschichten sollen hier registriert werden. Es geht also an dieser Stelle nicht um die erhabenen und bedrückenden Themen der Nibelungendichtung, sondern um ein charakteristisches Beispiel für die Folgen der Kulturpolitik der Deutschen Demokratischen Republik – um keinen spektakulären, doch um einen erzählenswerten und mitunter befremdlichen Vorgang im geteilten Deutschland.
    Auf die Übersetzung des Nibelungenliedes bezieht sich – ohne Nennung des Titels – ein kurzer Passus im Abschnitt III »Entwöhnung von einem Arbeitsplatz« der Frankfurter Vorlesungen Begleitumstände , die 1979 vorgetragen wurden und in erweiterter Form ein Jahr später als Buch erschienen:
    »Werte Genossen vom Ministerium für Kultur [...] ihr habt die Solidarität unterschätzt, die ihr Leuten einübt mit eurer Art Regierung. Auf neunzehnhundert Mark kann einer kommen, den ihr unten halten wollt, und höher, wenn ein Freund den Vertrag unterschreibt, die Arbeit aber dem weitergibt, dem sie fehlt, und den Lohn dafür.« 7
    Dieser Hinweis ist knapp gehalten, entsprechend der Konstruktion der Vorlesung, und läßt aus inhaltlicherRücksicht vieles vom eigentlichen Sachverhalt ungesagt. Denn hinter der Andeutung, die in dieser Verkürzung die Sache nicht ganz trifft, steckt eine Geschichte, die mit ihren Anlässen, ihrem tatsächlichen Verlauf und ihren absurden Verklemmungen ein charakteristisches Stück Zeitgeschichte ist, dessen Auflösung am Ende ohne Johnson vor sich gegangen ist.
    Ausgangspunkt der Geschichte war zum einen die Absicht des Verlags Philipp Reclam jun. in Leipzig, eine ziemlich überholte Übersetzung des Nibelungenliedes aus dem Verlagsprogramm durch eine neue, angemessenere Version zu ersetzen. Das führte im Sommer 1956, als ich kurz vor dem Abschluß des Germanistikstudiums stand, zu der Anfrage, ob ich eine Neuübersetzung des mittelhochdeutschen Textes würde übernehmen wollen. Wieso diese Anfrage an mich gerichtet wurde, ist nicht mehr eindeutig auszumachen. Mittelhochdeutsche Literatur war weder Zentrum noch Glanzpunkt meiner studentischen Bemühungen, und so könnte bei einer orientierenden Nachfrage in der Älteren Abteilung des Germanistischen Instituts allenfalls meine nicht eben schüchterne Teilnahme am Seminar von Theodor Frings eine hilfreiche Rolle gespielt haben. Frings war die unstrittige Autorität der Älteren Germanistik in Leipzig und vertrat damit zugleich die Sprachwissenschaft, so wie sie damals an deutschen Universitäten weitgehend verstanden wurde – und Sprachwissenschaft war das Gebiet, das mich eigentlich interessierte.
    Wie auch immer, das Gespräch im Lektorat des Reclam-Verlags ergab zweierlei: Erstens würde eine neue Fassung des Nibelungenliedes , die sich nicht im Kitsch in der Nachfolge von Simrocks neuhochdeutscher Nachdichtung verfangen sollte, nur ein Prosatext sein können. Er dürfte nicht falsche Vertrautheit vorspiegeln, sondern hätte die Distanzbewußtzumachen, ein Text, der zwar verständlich ist, aber fremdartig bleibt. Und zweitens sollte ich nach vier Jahren Germanistikstudium von Geist und Sprache mittelhochdeutscher Literatur soviel verstanden haben, wie nötig war, um sich auf dieses Vorhaben einzulassen. Ich sah die Aufgabe also als realisierbar an.
    Beim tatsächlichen Vertragsabschluß spielte aber noch etwas ganz anderes mit. Ich konnte nämlich vorerst nicht absehen, welche Arbeitsmöglichkeiten ich nach Abschluß des Studiums haben würde, denn noch waren die rigiden Nachwirkungen Stalinscher Kulturpolitik ungebrochen, und die Berufsaussichten für jemand, der sich drei Jahre zuvor eine Vorstrafe aus politischen Gründen zugezogen hatte, waren schwer kalkulierbar. Unerfreuliche Indizien gab es genug, und zwei konkrete Versuche hatten sich bereits zerschlagen, folglich war jede von diesen Bedingungen unabhängige Aufgabe nützlich, und ich unterschrieb den Vertrag.
    Einen zweiten Ausgangspunkt der Geschichte bildeten die praktischen Umstände des studentischen Alltags. In dem waren Uwe Johnson und ich zusammen mit drei anderen Freunden – Klaus

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