Das Nilpferd
feinfühlig.«
Konnte man nicht sagen. Niemand versteht anscheinend, daß in solchen Angelegenheiten Takt und Mitgefühl von dem Sterbenden kommen sollten und nicht von dem armen Schwein, das das zu hören bekommt. Allerdings war sie bei mir an der richtigen Adresse. Ich war dem Tod zu oft begegnet, als daß ich mit seinen Formen noch zimperlich umgesprungen wäre.
»Bist du ganz sicher?«
»Die Ärzte sind einer Meinung. Leukämie. Ich habe keine Remissionen mehr.«
»Das haut mich um, Jane. Es tut mir sehr leid.«
»Danke.«
»Angst?«
»Nicht mehr.«
»Ich nehme an, keiner weiß, wann Sense ist?«
»Bald, sagen sie … im Lauf der nächsten drei Monate.«
»Nun, mein Schatz. Wenn du mit deinen Feinden Frieden geschlossen und deinen Freunden Lebewohl gesagt hast, solltest du nicht allzu traurig darüber sein, die Party vorzeitig zu verlassen. Wir leben in einer verpfuschten Welt und einem verpfuschten Zeitalter, und bald genug treffen wir dich sowieso wieder.«
Sie lächelte dünn. »So kann man’s auch sehen.«
»Nur so.«
Jetzt, wo ich Bescheid wußte, sah ich es ihr natürlich an. Es lag im Glanz ihrer Augen und der Straffheit und Blässe ihrer Haut. Auch der knochige Körperbau, den ich als die Pseudo-Anorexie eines neurotischen reichen Mädchens gedeutet hatte, ging in Wirklichkeit wohl aufs Konto der Krankheit.
Sie lehnte sich zurück und atmete aus. Jetzt produziert sie sich nur, dachte ich. Mir erschien dieses Ausatmen als bewußte Demonstration der Reife und Weisheit, die das Todesurteil ihr verliehen hatten, das »die Dinge in ein anderes Licht rückte« und sie eigenartig frei gemacht hatte.
»Ich meinte eben, ich hätte keine Angst«, sagte sie, »und das stimmt. Aber am Anfang hatte ich sie. War einfach hysterisch. Sag mal …«
»Ich höre.«
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Was hältst du … was hältst du von Geistlichen?«
Ich sackte zusammen. Jetzt geht’s los, dachte ich. Jetzt geht der Scheiß also los. Das Handauflegen. Wenn keine Gottesbarden, dann ätherische Öle; wenn keine ätherischen Öle, dann Akupunktur; wenn keine Akupunktur, dann Kräuter; wenn keine Kräuter, dann durchscheinende Kieselsteine und esoterische Blattscheiden.
»Geistliche …«, sagte ich. »Beziehst du dich auf die katholische oder die anglikanische Sorte?«
»Ich weiß nicht. Ich nehme an, du bist Atheist?«
»Manchmal falle ich vom Unglauben ab, aber im Grunde ja. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Die Aasgeier in Soutane kreisen schon über dir, ja? Kämpfen um das Recht, deine Seele weißnagen zu dürfen?«
»Nein, nein … darum geht’s nicht. Oje …«
Sie stand auf und ging umher, während ich sitzen blieb,mich an den Whisky klammerte und wartete. Ich dachte über das Leben als Restaurantkritiker nach, fragte mich, ob ich noch Keime einer herbstblühenden Lyrik in mir spürte, und überlegte mit der Intoleranz der unheilbar Gesunden, daß Leukämie ein Leiden sei, von dem ich mich ohne weiteres lösen könnte. Reiß dich zusammen, Weib, und vertreib’s dir mit Joggen, dachte ich. Wenn du nicht imstande bist, ein paar weißen Blutkörperchen zu verklickern, daß sie die Mücke machen sollen, ist es auch nicht schade um dich.
Endlich drehte sie sich um und schien zu einem Entschluß gekommen zu sein.
»Folgendes«, sagte sie, »es ist etwas Merkwürdiges vorgefallen. In meiner Familie. Ich verstehe es nicht, aber es könnte dich interessieren, glaube ich. Als Schriftsteller.«
»Ach ja?« Wenn Leute jemals sagen, »als Schriftsteller wird dich das faszinieren«, bereite ich mich auf dröhnende Langeweile und lähmende Banalität vor. Außerdem, was für ein Schriftsteller war ich denn? Sie versuchte, mir Honig ums Maul zu schmieren, damit ich aufpaßte.
»Ich dachte, da du vorübergehend … äh …
unbeschäftigt
bist, könntest du so lieb sein und mir vielleicht helfen. Etwas zu untersuchen.«
»Nun, meine Liebste, ich weiß nicht genau, was dir dabei vorschwebt. Ich bin nicht gerade das, was man unter investigativen Journalisten versteht. Ich bin genaugenommen überhaupt kein Journalist. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was ein gescheiterter Lyriker, gescheiterter Romancier, gescheiterter Theaterkritiker und nur bedingt erfolgreicher Scheiterer dir womöglich zu bieten hätte.«
»Immerhin kennst du die Betroffenen, weißt du, und …« »Wow!« Ich hob die Hand. »Jane. Schatz. Engelchen. Mausi. In saftigeren Zeiten haben deine Mutter und ich einen
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