Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
um Vicarius Filii Dei entspricht in etwa den Mutmaßungen darüber, was die Freimaurer hinter verschlossenen Türen treiben. Die Bundeslade und der Schatz der Tempelritter sind konkrete Objekte. Gegenstände. Oder genauer gesagt: die Vorstellung der Menschen davon.
Der Kardinal scheint nicht zuzuhören. Jahrhundertelang haben sie gesagt, es gäbe uns nicht, sagt er.
Und wie sieht Ihrer Meinung nach dieser Schatz aus? Ist es Gold? Religiöse Reliquien? Oder glauben Sie …
Das Wissen, unterbricht ihn der Kardinal. Über den Weg zu Gott.
Sie glauben, die Tempelritter kannten einen heimlichen Weg zu Gott?
Sie sind doch sicher ein gottesfürchtiger Mann, Professor. Gott spricht durch Propheten zu den Menschen. Warum sollte es nicht tatsächlich möglich sein, eine Pforte zwischen uns Menschen und Gott zu öffnen? Einen Durchgang. Ist das so undenkbar für Sie? Jesus hat Petrus die Schlüssel zum Himmelreich gegeben. Petrus, dem wichtigsten Jünger. Diese Schlüssel zu Gottes Reich hat Petrus weitergegeben. Wie also sollen wir das theologische Prinzip der apostolischen Nachfolge verstehen? Das bedeutet doch, dass die Kirche der geistliche Nachfolger der Jünger ist. Jesus Christus hat seinen Jüngern versprochen, bis zum Ende der Welt bei ihnen zu sein. Und wir, Professor Moretti, sind Repräsentanten der Jünger Christi.
Die Gnostiker meinten, dass es geheime Jünger gab, die Jesu verborgene und wahre Lehre kannten.
Die Gnostiker!, schnauft der Kardinal. Ketzer! Die Wahrheit ist diese: Die Folge kann nicht durchbrochen werden. Petrus ist der Fels, auf den Jesus seine Kirche gebaut hat. Als Linus im Jahr 68 Papst wurde, als Erster nach dem heiligen Petrus, war das heilige Vorsehung.
Möglich. Viele Päpste haben sowohl den Papststuhl als auch Gottes Namen besudelt.
Der Mensch ist nicht unfehlbar. Ich …
Draco kommt hereingestürmt, die Augen zusammengekniffen. Er nickt dem Kardinal kurz zu. Die beiden verlassen das Studierzimmer, kommen aber gleich darauf zurück.
Bjørn Beltø, sagt der Kardinal. Kennen Sie den?
Er ist Teilnehmer der Konferenz. Ich habe gestern Abend mit ihm gesprochen. In der Bar. Darüber hinaus kenne ich ihn nicht.
Arbeiten Sie mit ihm zusammen?
Nein.
Er hat das Original von Nostradamus’ Brief gestohlen.
Bjørn Beltø?
Er und Ihre Frau.
Was sagen Sie da?
Sie haben den Brief aus Regina Ferraris Büro entwendet. Bjørn Beltø und Ihre Frau.
*
Silvio weint leise vor sich hin.
Sie sind zurück in der Zelle. Silvio liegt im Bett. Er versucht, die verzweifelten Schluchzer zu unterdrücken, anscheinend sind sie ihm peinlich. Darum schaut Lorenzo nicht nach seinem Sohn. In unregelmäßigen Abständen holt Silvio Luft durch die Nase. Silvio ist immer so ängstlich. Von wem hat er das? Von Angelica? Oder von ihm? Wahrscheinlich von ihm. Wenn sie spät von einer Party nach Hause kamen, konnte es sein, dass Silvio hellwach in seinem Bett saß und auf sie wartete. Er sprach es nie klar aus, aber Lorenzo wusste, dass er Angst hatte, sie würden nicht wieder zurückkommen. Dass sie in der Nacht verschwinden könnten, sich in nichts auflösen, ihn alleine zurücklassen. Er war selbst mit dieser irrationalen Furcht aufgewachsen. Sie hatten es mit Argumenten und Erklärungen versucht. Eltern lassen ihre Kinder nicht einfach allein, hatten sie gesagt, Mütter und Väter lieben ihre Kinder, das verstehst du doch? Ja, doch, das verstand Silvio. Aber schon beim nächsten Mal, als sie spät nach Hause kamen und den Babysitter verabschiedet hatten, saß Silvio wieder in der Dunkelheit und wartete auf sie. Hier in der Zelle schlief er mehr als sonst. Vielleicht lag das an der Angst. Der Langeweile. Und, denkt er, paradoxerweise wohl auch daran, dass ich hier bin, bei ihm, die ganze Zeit. In der verschlossenen Zelle braucht er wenigstens nicht zu fürchten, dass ich ihn verlasse.
Er war dreiundfünfzig gewesen, als Silvio geboren wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich eigentlich längst damit abgefunden, nicht mehr Vater zu werden. Selbst, als er mit Angelica zusammenkam, hatte er nicht auf Kinder zu hoffen gewagt. Als sie eines Morgens aus dem Bad kam und ihm mitteilte, sie sei schwanger, hatte er zu weinen begonnen. Er, der nie weinte. Noch am gleichen Abend wussten sie, wie das Kind heißen sollte. Silvio, wenn es ein Junge, Silvana, wenn es ein Mädchen wurde. Ein Wunschkind. Geliebt. Verwöhnt. Gut in der Schule. Torwart in der Fußballmannschaft. Wie viele ältere Väter, die ein Kind bekamen,
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